Kann der neue Tiefbahnhof von Stuttgart 21 maximal 32 Züge in der Spitzenstunde abfertigen, wie die Projektgegner nicht müde werden zu betonen? Grüne und SÖS/Linke bezweifeln, dass die Kapazität des Tiefbahnhofs ausreicht – die Bahn widerspricht.
Stuttgart - Kann der neue Tiefbahnhof von Stuttgart 21 maximal 32 Züge in der Spitzenstunde abfertigen, wie die Projektgegner nicht müde werden zu betonen? Oder reichen die Kapazitäten der Infrastruktur, wie von den Schweizer Verkehrsgutachtern SMA im Stresstest ausgeführt wurde, um 49 Züge durch den Bahnhof fahren zu lassen? Über diese Fragen der Leistungsfähigkeit wird dieser Tage wieder vielfach debattiert: Erst jüngst hat die Wissenschaftlergruppe Wikireal eine Reihe von Gutachten ausgewertet und den Schluss gezogen, dass die Bahn von Beginn an nur mit 32 Zügen gerechnet habe.
Als Nachweis der 32-Züge-Theorie wird dabei häufig auch die Personenstromanalyse aus dem Jahr 2009 angeführt, in der von der Bahn als Rechengrundlage ebenfalls nur 32 Züge in der Spitzenstunde veranschlagt worden sind. Auf Antrag der Grünen-Fraktion haben Vertreter der Bahn nun am Dienstag im Technischen Ausschuss des Gemeinderats besagtes Gutachten vorgestellt – und dabei zunächst die spezielle Arithmetik erläutert. Um zu untersuchen, ob die Wege in einem Bahnhof ausreichend dimensioniert sind, sei die Gesamtzahl der Züge in einer bestimmten Stunde unerheblich, so der Leiter des Regionalbereichs Südwest von der DB Station & Service, Sven Hantel. Die Berechnung basiere ohnehin auf Volllast, nämlich der kompletten Belegung beider Bahnsteige auf der gesamten Länge.
Die zu erfüllende Prämisse dabei sei, dass die Reisenden den Bahnsteig innerhalb von zwei bis vier Minuten verlassen könnten, so Hantel, wofür der Nachweis erbracht worden sei. Ob diese Situation einmal oder fünfmal in der Stunde vorkomme, sei nicht relevant, weil der Bahnsteig dann jeweils schon wieder geleert sei. Daher könnten auch aus der veranschlagten Zahl an Zügen in der Spitzenstunde keine Rückschlüsse auf die generelle Leistungsfähigkeit des Bahnknotens gezogen werden.
Zahl der Reisenden soll auf 303.000 steigen
Aktuell nutzen den Stuttgarter Hauptbahnhof täglich rund 240 000 Reisende, nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 rechnet die Bahn mit 303 000, also einer Steigerung von etwa 25 Prozent. In der Spitzenstunde werden laut Prognose fast 60 000 Ein-, Aus- und Umsteigevorgänge erwartet. Darauf basierend ist in der zwischenzeitlich überarbeiteten Personenstromanalyse die „Verkehrsqualität“ für die Stege, Treppenanlagen und Aufzüge berechnet und mit Qualitätsstufen bewertet worden. Bei einer Skala von A (Verkehrsfluss ist frei) bis F (Verkehrsanlage ist überlastet) wurde dabei überwiegend die Stufe C erreicht, in einigen stark frequentierten Bereichen nur die Stufe D.
Das Erreichen dieser Kategorien entspreche der geplanten Zielgröße, so der DB-Konzernbevollmächtigte Eckart Fricke, der zu dem Grünen-Antrag zuvor bereits schriftlich Stellung genommen hatte. In den Tagesdurchschnittsstunden würden die höheren Kategorien A und B erreicht werden, das sei bei Hochbetrieb nur mit einer höheren Dimensionierung möglich, die aber als Überdimensionierung nicht genehmigungsfähig wäre, so Fricke.
Die Grünen-Fraktion sieht derweil auch nach den Erläuterungen der Bahnexperten einigen Handlungsbedarf, wie der Stadtrat Jochen Stopper betonte. Zum einen seien in der Analyse der Personenströme die im Stresstest berechneten 13 Doppelbelegungen der Bahnsteige in der Spitzenstunde nicht berücksichtigt worden. Zudem würden die mittelmäßigen Noten die Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs nähren, so Stopper. „Wir haben die Studie anders gelesen.“
Lautstarke Zwischenrufe auf der Tribüne
Regionalbereichsleiter Hantel sieht dagegen vor allem Vorteile für die Reisenden. Bei drei Aufzügen pro Bahnsteig zuzüglich diverser Treppen würden sich die Wege ganz erheblich verkürzen. Im Übrigen sei die Doppelbelegung sehr wohlkalkuliert worden, da mit Zügen über die komplette Bahnsteiglänge gerechnet wurde. Und natürlich sei in die Analyse auch berücksichtigt worden, dass Zugreisende Gepäck bei sich haben, so Sven Hantel in Richtung Gangolf Stocker. Der SÖS-Stadtrat und Stuttgart-21-Gegner hatte zuvor seine Zweifel an den Berechnungen angemeldet, da schon in den „alten Prospekten nie Menschen mit Gepäck zu sehen“ gewesen seien. „In der Analyse stimmen einige Dinge nicht.“
CDU-Stadtrat Alexander Kotz hält die geplanten Anlagen dagegen wie auch Roswitha Blind von der SPD für ausreichend. „Eine größerer Dimensionierung wäre rausgeschmissenes Geld.“ Beide Fraktionsvorsitzende störten sich dagegen an den Umtrieben auf der Tribüne, auf der Stuttgart-21-Gegner immer wieder durch lautstarke Zwischenrufe auffielen. Kotz: „Sie treten die Bürgerbeteiligung mit Füßen.“