Die Gruppe Wikireal hat erhebliche Zweifel am Stresstest für Stuttgart 21. Zudem hatten Aktivisten der Parkschützer den Südflügel des Hauptbahnhofs besetzt.

Stuttgart - Die Gruppe Wikireal um den Physiker und Analytiker Christoph Engelhardt hat am Montag ihre Forderungen nach einer Überprüfung des Stresstests wiederholt und neue Vorwürfe erhoben. Elf Parkschützer nahmen dies zum Anlass, am Mittag das Dach des Südflügels zu besetzen. Spezialkräfte der Bundes- und Landespolizei, die auf das nach Angaben der Polizei einsturzgefährdete Dach gestiegen waren, brachten die Besetzer gegen 17.30 Uhr dazu, dieses zu verlassen. Die Parkschützer leisteten keinen Widerstand. Zuvor hatten sie ein Banner an die Fassade des Gebäudes gehängt: „Alles zerstört, nichts gewonnen: Total versagt, Ramsauer & Co.“ stand darauf.

 

Wikireal war zwar auf dem Banner der Parkschützer genannt, distanzierte sich aber von der Aktion: „So etwas ist kontraproduktiv, wenn wir zeitgleich um wissenschaftliche Aufklärung bemüht sind“, sagte Christoph Engelhardt. „Wir haben von der Aktion nichts gewusst.“

Nach Engelhardts Erkenntnissen sei in dem Leistungstest nicht nur mit lückenhaften Prämissen und falschen Annahmen gearbeitet worden; es liege zudem ein Modellfehler in der Simulation vor. Dieser führe durch eine fehlerhafte Signalstellung bei Verspätungen von Zügen zu einer positiven Beeinflussung der Leistungsfähigkeit.

Softwarefehler per Zufall entdeckt

Entdeckt hat den mutmaßlichen Softwarefehler ein Chemiestudent aus Mainz, der nach eigenen Angaben das entsprechende Handbuch der Firma RMCon, mit deren Simulationssoftware der Stresstest durchgeführt wurde, wegen einiger Zweifel an den Ergebnissen des Tests durchgearbeitet hatte. Dabei sei er zufällig auf den Softwarefehler gestoßen. Laut Christoph Engelhardt hat der Hersteller der Software, die seit Jahren weltweit bei Fahrplan- und Betriebssimulationen im Einsatz ist, den Sachverhalt zwischenzeitlich auf Anfrage als „Modellunschärfe“ eingeräumt. Die Auswirkungen auf die modellierte Leistungsfähigkeit seien aber nicht erheblich. Zudem könne der Effekt durch andere Handlungen wie etwa die Einstellung sogenannter Fahrstraßenbildezeiten korrigiert werden.

Wikireal zufolge führt der Modellfehler dazu, dass in den Spitzenstunden des morgendlichen Berufsverkehrs mindestens zwei bis drei Züge weniger durch den Tiefbahnhof fahren könnten als im Stresstest nachgewiesen. „Damit ist das ohnehin schon fragwürdige Leistungsziel von 49 Zügen pro Stunde deutlich unterschritten“, sagte Engelhardt.

Die Bahn hatte im Stresstest nachweisen müssen, dass der Tiefbahnhof um insgesamt 30 Prozent leistungsfähiger ist als beim heutigen Fahrplan des jetzigen Kopfbahnhofs. Durchgeführt hat die Simulation das Schweizer Betriebsplanerbüro SMA. Dieses hat auf Anfrage des Verkehrsministeriums bereits Stellung genommen und wie die Bahn die Vorwürfe als unwahr zurückgewiesen. Die Richtlinien seien eingehalten, die Ergebnisse zudem auch anhand der Ist-Werte vergleichbarer Strecken plausibilisiert worden.

Weist der Stresstest Mängel auf?

Die Gruppe Wikireal und die Gegner von Stuttgart 21 bezweifeln diese Aussage. Die wissenschaftlichen Untersuchungen hätten eindeutig gezeigt, dass der Stresstest erhebliche Mängel aufweist, betont etwa Clarissa Seitz vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Der Leistungsnachweis für den Tiefbahnhof sei nun endgültig gescheitert. Spätestens bei der nächsten Planfeststellung auf den Fildern müsse die Wirtschaftlichkeit erneut nachgewiesen werden. Dann seien aber bereits Milliarden Euro vergraben, so Clarissa Seitz. „Wir fordern daher jetzt eine Überprüfung durch einen unabhängigen Gutachter.“

In Auftrag gegeben werden müsste eine solche gutachterliche Untersuchung vom baden-württembergischen Verkehrsministerium, das sich aktuell um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Eine fundierte Überprüfung sei vor der Volksabstimmung aus Zeitgründen nicht möglich gewesen, zumal auch der Bahn und SMA die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden musste. Man suche momentan noch nach einem geeigneten Verfahren, um eine fundierte Bewertung der Vorwürfe vornehmen zu können.

„Der Stresstest beruht auf Betrug“, sagte Matthias von Herrmann, der Sprecher der Parkschützer. Diese hatten neben der Besetzungsaktion gestern auf dem Marktplatz bei der 115. Montagsdemonstration mehr Energieeffizienz von der Bahn gefordert. Als Hauptredner war der Fernsehjournalist Hagen von Ortloff ans Mikrofon getreten. Rund 1500 Menschen waren nach Angaben der Polizei gekommen, die Veranstalter sprechen von mehr als 3000.