Als S-21-Projektsprecher steht Wolfgang Dietrich für Offenheit und Information. Seine eigenen Geschäfte sind dagegen nur bedingt durchsichtig.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)
Stuttgart - Der Bahn-Chef lüftete ein kleines Geheimnis. Wie, wurde lange gerätselt, waren Bahn und Land bloß auf Wolfgang Dietrich als neuen Projektsprecher für Stuttgart 21 gekommen? Den anderen neuen Sprecher, Exregierungspräsident Udo Andriof, kannte fast jeder. Aber was sprach eigentlich für den weithin unbekannten 62-jährigen Unternehmer aus Leonberg? Jawohl, bestätigte Rüdiger Grube der Stuttgarter Zeitung, Dietrich sei seine ganz persönliche Entdeckung. Er habe ihn kennengelernt, als dieser Präsident des Golfclubs Bad Liebenzell im Nordschwarzwald war. Über Jahre hinweg habe er dort beobachten können, "wie ausgleichend er ist und wie zielorientiert er dabei vorgeht".

Mit seiner Wahl überraschte der Bahn-Chef so ziemlich alle - vorneweg Dietrich selbst. Der habe einige Bedenkzeit gebraucht, berichtete Grube, weil er "seinen gesamten Tagesablauf und Lebensablauf noch mal signifikant ändern musste". Nach einem langen Berufsleben als Manager und Unternehmer wollte er eigentlich etwas kürzertreten. Überrascht war auch die Wirtschaft, mit der der neue Sprecher den Dialog intensivieren sollte. Man habe den Namen nie gehört, hieß es allenthalben; selbst bestens vernetzte Verbandsfunktionäre mussten passen. Vielleicht am meisten überrascht aber reagierten jene, die Dietrich zum Teil aus langjähriger Beobachtung kannten. Da trete jemand ins Licht der Öffentlichkeit, registrierten sie erstaunt, der dieses bisher weitgehend gemieden habe.

An der Fähigkeit zur Kommunikation, befinden einstige Weggefährten einhellig, mangele es Dietrich nicht. Durchweg rühmen sie seine Eloquenz, gepaart mit einer gewissen Emotionalität. Doch der Willen zur Kommunikation, jedenfalls nach außen, galt bei ihm bisher als unterentwickelt. Bei Stuttgart21 soll ein Mann für Transparenz bürgen, der sie in seinem Vorleben in der Wirtschaft eher scheute. Schon in den Jahrzehnten als Manager in der Softwarebranche geizte Dietrich mit öffentlichen Informationen, als Unternehmer im Bereich Sportmarketing entwickelte er sich geradezu zum Geheimniskrämer. Ob früher bei der Softwarefirma Strässle oder heute beim "Sportförderer" Ventric - ganz wollte er sich nie in die Karten schauen lassen. Zuletzt wurde Dietrich sogar gegen seinen Willen als mysteriöser Investor bei den Stuttgarter Kickers enttarnt, der hinter den Kulissen die Strippen zieht.

Als 22-Jähriger betrieb er bereits ein kleines Programmierbüro


Aber der Reihe nach. Schon als Student verspürte Dietrich eine Leidenschaft fürs Unternehmertum. Mit 22 Jahren betrieb er bereits ein kleines Programmierbüro, für einen Abschluss in Betriebswirtschaft war er bald zu beschäftigt. Früh landete er beim Stuttgarter Software- und Systemhaus Strässle, bei dem er 22 Jahre lang bleiben sollte. Sein Anteil am Aufstieg der Firma ist unbestritten: Aus kleinen Anfängen entwickelte sie sich unter Dietrichs Führung zu einem bedeutenden Anbieter von integrierten Informationssystemen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem dreistelligen Millionenumsatz. Höchst unterschiedlich wird hingegen beurteilt, wer für den Niedergang des Unternehmens verantwortlich war.

Ende 1995 verkündete Dietrich überraschend seinen Abschied, um noch einmal etwas Neues anzufangen. Er habe "versucht, dem Unternehmen den Weg in eine sichere Zukunft zu bahnen", bilanzierte der Geschäftsführer: "Jetzt steht Strässle auf einer guten, festen Grundlage." Ergebnisse nannte Dietrich zwar nie, aber er hinterließ stets den Eindruck, der Firma gehe es gut. Umso verblüffter war die Öffentlichkeit, als Strässle ein Jahr später Insolvenz anmelden musste. Ein Opel-Erbe aus Liechtenstein, der hinter dem Gesellschafter stand, habe die Überweisung von liquiden Mitteln gestoppt, hieß es. Einen dreistelligen Millionenbetrag soll er in die Firma gesteckt haben, bis er offenbar nicht mehr nachschießen mochte. Immer wieder sei es Dietrich gelungen, hohe Geldbeträge aufzutreiben, berichten Weggefährten. "Darin war er perfekt", sagen frühere Strässle-Beschäftigte, die sich noch jährlich zum Stammtisch treffen. Er habe die Lage des Unternehmens stets wahrheitsgemäß dargestellt, beteuert der 62-Jährige im Rückblick. Bis heute sei ihm unerklärlich, wie es trotz einer unkündbaren Garantieerklärung des Gesellschafters zum Konkurs kommen konnte.

Seinen künftigen Schwerpunkt, hieß es beim Abschied von Strässle, sehe Dietrich im Sportmarketing. Man wisse ja um seine Fußballbegeisterung und seine guten Kontakte in der Branche, etwa zu den Hoeneß-Brüdern. Öffentlich fiel der Unternehmer seither kaum mehr auf, erst 2007 machte er dann im Ruhrgebiet Schlagzeilen auf den Sportseiten. Anlass war sein Engagement bei der Schweizer Ventric AG, an der er sich 2005 über die ihm alleine gehörende VMM Consulting GmbH in Leonberg beteiligte. Die Firma residiert in seiner Privatvilla, ausgewiesen nur durch einen kleinen Aufkleber auf dem Briefkasten. Die Ventric AG mit Sitz in der Käsestadt Appenzell übernahm im Zuge der Kirch-Pleite von der Sportrechteagentur ISPR Ansprüche aus millionenschweren Finanzierungsverträgen mit vier Bundesligavereinen: VfB Stuttgart, FSV Mainz 05, Eintracht Frankfurt und Rot-Weiß Oberhausen; als Kaufpreis waren laut dem eidgenössischen Handelsregister bis zu 19,5 Millionen Schweizer Franken vorgesehen. Man stelle den Vereinen Kapital zur Verfügung, damit sie etwa Spieler kaufen könnten, und unterstütze sie bei der Fernsehvermarktung, erläutert der "Generalbevollmächtigte" Dietrich grob das Geschäftsmodell. Das lohne sich für Ventric umso mehr, je erfolgreicher die Clubs sportlich seien - und werde für diese umgekehrt im Erfolgsfall umso teurer. Mehr Details will er nicht in der Zeitung lesen. Alle Verträge seien von den zuständigen deutschen Fußballorganisationen abgesegnet.