In Untertürkheim klagen Anwohner des Stuttgart-21-Tunnelbaus gegen die Lärmbelästigung. In einem Eilverfahren wollen sie vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim zumindest in den Nachtstunden eine Baupause durchsetzen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Eine Gruppe von Anwohnern des Untertürkheimer Lindenschulviertels will die Stuttgart-21-Arbeiten unter ihren Häusern stoppen – zumindest nachts und solange bis geklärt ist, wie für sie die Folgen des Tunnelbaus abgemildert werden. Einen entsprechenden Eilantrag hat der Anwalt der Anwohner beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gestellt. Der Bahn und dem Eisenbahn-Bundesamt war eine Frist bis Montag eingeräumt, sich zu dem Sachverhalt zu äußern.

 

Die Bahn baut unter dem Neckarvorort die Verbindung vom Hauptbahnhof zum bestehenden Schienennetz im Neckartal. Von Wangen kommend hat eine Röhre mittlerweile den Neckar unterquert. Die Mineure haben sich bis auf wenige Meter an die ersten Gebäuden im Lindenschulviertel herangearbeitet. „Obwohl die Arbeiten noch gar nicht unter unseren Häusern angekommen sind, bekommen wir das schon deutlich mit“, sagt eine Anwohnerin. Sie will sich aber nicht nur aufs Hören und Fühlen verlassen und hat deswegen Messgeräte in ihrem Keller aufgestellt. „Schon jetzt sind 33 Prozent des maximal zulässigen Wertes erreicht.“ Die Röhre steigt in diesem Bereich an, der Abstand zwischen dem Tunnel und den Fundamenten der Gebäude beträgt weniger als 30 Meter. Der Bahn ist das Problem bekannt, erst kürzlich hat sie ihr Angebot an Anlieger, während der Bauzeit in ein Hotel auszuweichen, bis zum 8. Juli verlängert.

Anwohner flüchten vor dem Baulärm ins Hotel

Von dieser Option wird im Lindenschulviertel reichlich Gebrauch gemacht, auch Familien mit schulpflichtigen Kindern sind einstweilen vor dem Baulärm geflohen. Wie auch auf der gegenüberliegenden Seite in Wangen darf die Bahn in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr in den Tunneln nicht mit Sprengstoff arbeiten. In den Nachtstunden kommt stattdessen ein Meißel zum Einsatz. „Das ist wie wenn sie versuchen, neben einer dauerhaft schleudernden Waschmaschine zu schlafen“, sagt einer der Anwohner, der nun ebenfalls im Hotel wohnt.

Der Rechtsbeistand der Kläger, der Freiburger Anwalt Tobias Lieber, sieht vor allem das Eisenbahn-Bundesamt (Eba) in der Pflicht. Daher richtet sich das Verfahren auch gegen den Bund, vertreten durch die Bonner Behörde. Das Thema Baulärm sei in den Baugenehmigungen, den sogenannten Planfeststellungsbeschlüssen, „nur oberflächlich“ behandelt worden. Dort sei vorgesehen worden, dass die Bahn vor Baubeginn ein Gutachten vorlegt, mit welchen Belastungen zu rechnen sei und durch welche Maßnahmen diese zu mindern seien. „Es gibt diese Gutachten, aber eben keine formale Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes. Wir befinden uns ein wenig im rechtsfreien Raum“, sagt Lieber. Das Eba hat eine Anfrage der Stuttgarter Zeitung dazu bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet gelassen.

Bahn bemüht sich um nächtliche Sprengerlaubnis

Bis zu einer endgültigen Klärung fordern die Anwohner, die lärmintensiven Arbeiten zumindest in den Nachtstunden ruhen zu lassen. Die Bahn befindet sich nach eigenen Angaben weiterhin in Verhandlungen mit der baden-württembergischen Landesbergdirektion. Die in Freiburg ansässige Behörde könnte das nächtliche Sprengverbot lockern. Bei der Bahn herrscht die Meinung vor, eine einmalige Sprengung in der Nacht sei weniger belastend als das dauerhafte Meißeln. Auch an anderer Stelle der Stuttgart-21-Baustellen wollen sich Anwohner juristisch zu Wehr setzen. So hat die Gruppe Nordlichter aus dem Nordbahnhofviertel eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart erstattet. Sie wehrt sich gegen aus ihrer Sicht unzulässigen Lastwagen-Verkehr, der auch an Sonn- und Feiertagen durch ihr Viertel rollt, um die S-21-Baustelle am Inneren Nordbahnhof mit Beton zu versorgen. Das widerspreche den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses, der vorsehe, dass derartiger Verkehr über die eigens eingerichteten Baulogistikstraßen abgewickelt werden müsse. Nach Lesart der Bahn gilt diese Vorgabe aber nur für den Transport von Aushub, nicht aber für die Andienung der Baustellen mit Material. Die Anzeigeerstatter sehen unter anderem S-21-Chef Manfred Leger in der Verantwortung, aber auch Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). Allerdings ist wegen der Anzeige noch niemand im Rathaus vorstellig geworden. „Uns ist dieser Sachverhalt nicht bekannt. Deswegen können wir uns nicht dazu äußern“, sagt ein Stadtsprecher.