Um die ungeliebten Fluchttreppenhäuser loszuwerden, prüft die Bahn einen zusätzlichen Notausgang aus dem Durchgangsbahnhof von Stuttgart 21 vor der LBBW. Am Mittwoch wird im Lenkungskreis darüber gesprochen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Fluchtwege aus dem unterirdischen Bahnhof bei Stuttgart  21 bereiten der Bahn weiter viel Arbeit. Ein vergrößerter Ausgang auf der Seite zur Willy-Brandt-Straße hin sowie ein zusätzlicher Notausstieg auf den Kurt-Georg-Kiesinger-Platz: so sieht nach Informationen der Stuttgarter Zeitung zusammengefasst jenes Konzept aus, das die Bahn derzeit mit den Genehmigungsbehörden diskutiert. Ziel des intensiven Gedankenaustausches ist, die seit jeher bei Architekt und Bauherr ungeliebten Fluchttreppenhäuser wieder loszuwerden, die nach einer Verschärfung der Vorschriften der Durchgangsstation hinzugefügt wurden. Die Genehmigung zum Einbau der zusätzlichen Fluchtwege hatte die Bahn im April 2015 erhalten. Es war die sechste Änderung des ursprünglich 2005 genehmigten Bauplans.

 

Beim Überdenken der Treppenhäuser spielen nicht nur ästhetische Befindlichkeiten eine Rolle. „Zur Verbesserung der Bahnsteignutzung und Evakuierungssicherheit für mobil eingeschränkte Personen ist die Verlegung der Fluchttreppen vorgesehen“, heißt es in einem Papier der Bahn, das sie mit Vertretern der Projektpartner im sogenannten Arbeitskreis Baden-Württemberg 21 beraten hat. Das Gremium tagt zwischen den Terminen des Lenkungskreises, jener Spitzenrunde, die das nächste Mal am Mittwoch im Stuttgarter Rathaus zusammentritt. Dabei spielt das Konzept abermals eine Rolle unter dem Tagesordnungspunkt „Sachstand Brandschutz/Anpassung Fluchtwege“. Nicht nur angesichts dieser Umplanungen dürften für manchen in der Spitzenrunde Fragen nach dem Zeitablauf und der Zielerreichung von besonderem Interesse sein.

Engpässe auf den Bahnsteigen könnten vermieden werden

Dieser neue „Sachstand“ ist Ergebnis eingehender Überlegungen, wie auf die Fluchttreppenhäuser zu verzichten wäre, die auf den vier Bahnsteigen von Stuttgart 21 zu den häufig kritisierten Engpässen führen würden. Jedoch blieben noch regelkonforme Abstände zwischen den Außenwänden der Treppenhäuser und der Bahnsteigkante frei. Fahrgastverbände hatten immer wieder auf den Verlust an Aufenthaltsqualität hingewiesen.

Vergleichsweise einfach mutet dabei die nun diskutierte Lösung am Südkopf des Bahnhofes an. In Verlängerung der Bahnsteige 1, 2 und 4 führen zusätzliche Treppen und Gänge in den Ausgangsbereich, der zusammen mit der ihn überwölbenden Gitterschale vergrößert werden müsste. Vom Bahnsteig 3 aus gelangt man über den Steg C, der auch für die normalen Passagierströme vorgesehen ist, zum Ausgang. Türanlagen verhindern, dass die Passagiere während des normalen Betriebsablaufs die für den Fluchtfall vorgesehenen Bahnsteigverlängerungen betreten.

Neuer Ausstieg am Kurt-Georg-Kiesinger-Platz

Deutlich mehr ingenieurtechnischer Aufwand muss am anderen Ende des Bahnhofstrogs betrieben werden. Auch an der dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz zugewandten Seite könnten die Bahnsteige in die Tunnel hinein verlängert werden. Von dort führen dann Treppen und Gänge in eine kreisrunde Öffnung, die sich vor der Fassade der LBBW im Boden auftut. Diese Rotunde, deren Oberflächengestaltung noch nicht endgültig festgelegt ist, weist einen Durchmesser von mehr als 13 Metern auf. Eine breite Treppe nimmt eine Seite des runden Loches ein, über die die Fahrgäste im Notfall die Vertiefung im Boden verlassen und auf den Kurt-Georg-Kiesinger-Platz gelangen können. Separate Gänge von den Bahnsteigen 1 und 2 führen zu dem vertieften Sammelpunkt. Fahrgäste von den Bahnsteigen 3 und 4 gelangen über einen gemeinsamen Gang dorthin. Diese Zuführungen mussten nochmals umgeplant werden, da die Genehmigungsbehörden auf eine Räumhöhe von 2,90 Meter bestanden und die Planer zunächst nur 2,40 Meter vorgesehen hatten. Flüchtende in Rollstühlen können in diesen Gängen zunächst in Sicherheit gebracht und dann nacheinander an die Oberfläche transportiert werden. Entsprechende Flächen sind in dem Konzept vorgesehen.

Gegenüber der Situation mit den Fluchttreppenhäusern, die sich gleichmäßig über die 400 Meter langen Bahnsteige verteilt hätten, würde sich – eine Genehmigung vorausgesetzt – der Weg zu den Fluchttreppen an den Enden des Bahnhofstrogs verlängern. Die Planer arbeiten daher an einer Lösung, wie die Bahnsteige im Havariefall für eine längere Zeit bis in einer Höhe von zweieinhalb Metern rauchfrei gehalten werden können.

Die S-21-Projektgesellschaft gibt sich verschlossen

Bei der Bahnprojektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) selbst hält man sich noch bedeckt, was die neuen Überlegungen angeht. Vor Kurzem bat S-21-Chef Manfred Leger in einem Pressegespräch noch „um ein paar Monate“ Geduld, ehe man die überarbeiteten Pläne präsentieren könne. Und auch für den Fall, dass die Umplanungen bei den Genehmigungsbehörden durchfallen, sieht man sich bei der Bahn gerüstet. „Wir verfügen über ein genehmigtes Brandschutzkonzept; zu möglichen Optimierungen äußern wir uns im Detail dann, wenn im Genehmigungsprozess Einvernehmen erzielt ist.“ Dieser Satz ist alles, was einem Projektsprecher zu den Überarbeitungen an dieser zentralen Stelle des umstrittenen Bahnhofs auf Nachfrage zu entlocken ist.

Diesen vorsichtigen Optimismus der Bahn teilen nicht alle. Die Vielzahl an beantragten Planänderungen sowie das nun neuerliche Nachbessern am Fluchtkonzept hat den eisenbahnpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Matthias Gastel, auf den Plan gerufen. Der Abgeordnete aus Filderstadt (Kreis Esslingen) versuchte von der Bundesregierung eine belastbare Aussage im Blick auf die Verzögerungen beim Umbau des Bahnknotens zu bekommen. Gastel verwies in seiner Anfrage unter anderem auf den Versuch der Bahn, eine Genehmigung für nächtlichen Sprengvortrieb im Abschnitt unter Wangen zu erhalten, auf die sich noch in der Schwebe befindliche Genehmigung einer Umplanung an der Ehmannstraße und auf die zwischenzeitlich kaputtgegangene Bohrmaschine des Fildertunnels (die StZ berichtete).

Bundesregierung sieht Projekt im Zeit- und Kostenplan

All diese Unwägbarkeiten stellen für die Bundesregierung allerdings den anvisierten Eröffnungszeitpunkt 2021 nicht in Frage. „Nach Kenntnis der Bundesregierung ist der Inbetriebnahmetermin Dezember 2021 aktuell noch möglich“, schreibt Enak Ferlemann, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, in seiner Antwort. Auch die Kosten bewegen sich demnach im Rahmen. Gastel will sich mit der drei Sätze umfassenden Antwort allerdings nicht zufriedengeben. „Mit ihrer Behauptung, die zuletzt verkündeten Zeit- und Kostenpläne könnten eingehalten werden, leidet die Bundesregierung unter Realitätsverlust. Oder sie versucht, das Eingeständnis weiterer Verzögerungen und Kostenexplosionen über die nächste Landtagswahl hinaus zu verzögern“, erklärt Gastel.