Die Gegner des Projekts Stuttgart 21 sehen in der erfolgreichen Klage einer kleinen Eisenbahn-Gesellschaft Parallelen zu einem in Stuttgart anhängigen Fall.

Stuttgart - Am 9. August will das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage der Stuttgarter Netz AG aufrufen. Der Zusammenschluss von Privatbahn-Betreibern will den Stuttgarter Kopfbahnhof nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 weiter betreiben. Aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit auffälligen Parallelen zum Stuttgarter Fall schöpfen die Eisenbahn-Rebellen Hoffnung auf ein kurzes und in ihrem Sinne eindeutiges Verfahren.

 

Die Netz AG will erreichen, dass die Deutsche Bahn AG für die Kopfbahnhof-Infrastruktur ein Stilllegungsverfahren einleiten muss. Bisher steht der Staatskonzern auf dem Standpunkt, nur der Abbruch der alten Infrastruktur müsse beantragt werden. Um eine Stilllegung gehe es nicht, weil die bisherigen Verkehrsleistungen des Kopfbahnhofs künftig einen Stock tiefer im Durchgangsbahnhof angeboten würden.

Netz AG will acht der 16 Gleise erhalten

Die Netz AG, die bereits im Oktober 2012 eine Klage eingereicht hatte, will acht der 16 Kopfbahnhof-Gleise samt deren Zufahrten erhalten. Fernzüge von Privatbahnen oder auch Nebenbahnen, die mit ihren Dieselzügen nicht in den Tunnelbahnhof fahren dürfen, könnten so bedient werden. Der Hebel dazu wäre das Stilllegungsverfahren.

Das Eisenbahn-Bundesamt (Eba) hat 2005 den Bau des Tiefbahnhofs genehmigt, aber von der Bahn AG keinen Stilllegungsantrag verlangt. Genau so verfuhr das Eba auch im Fall von Sulingen, einer Kleinstadt mit 12 000 Einwohnern 50 Kilometer südlich von Bremen. In den dortigen Kopfbahnhof führen zwei Gleisstränge aus Diepholz und Barenberg. Sie sollen durch eine Verbindungskurve miteinander verknüpft werden. Die nach Sulingen führenden Gleise und der dortige Bahnhof gingen damit automatisch vom Netz.

Richter: Interesse an Übernahme berücksichtigen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Baugenehmigung des Eba für die Verbindungskurve Ende Mai für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ erklärt. Der Planfeststellungsbeschluss des Eba sei rechtswidrig, weil das Vorhaben für die Strecken ein Stilllegungsverfahren erforderte. In diesem könne das klagende Unternehmen „sein Interesse an einer Übernahme geltend machen kann“, schreiben die Richter. Sie korrigierten damit die Entscheidung der Vorgängerinstanz aus Lüneburg. Die Baugenehmigung widerriefen die Leipziger Richter nicht. Sie ist ausgesetzt, bis das Eba den Fehler korrigiert hat. Das Stilllegungsverfahren könnte nachgeholt werden.

Dass nur noch ein paar Güterzüge in Bahnhof Sulingen die Richtung wechselten sei für die Erforderlichkeit des Stilllegungsverfahrens unerheblich, teilte das oberste Verwaltungsgericht mit. Das klagende Unternehmen im Fall Sulingen war die Rhein-Sieg-Eisenbahn. Geschäftsführer wart dort bis 2014 Rainer Bohnet. Er ist Vorstandsmitglied der Stuttgarter Netz AG (SNAG). In der Landeshauptstadt soll sich die Geschichte aus Sulingen wiederholen, allerdings in ganz anderem Maßstab.

In einem förmlichen Stilllegungsverfahren können die Privatbahnen ihr Interesse am weiteren Betrieb bekunden und die alte Infrastruktur pachten. also zum Beispiel Teile des Bahnhofs, Stellwerk und Zulaufstrecken. In ihrem Betriebskonzept aus dem Jahr 2015 rechnete die SNAG mit jährlichen Kosten von 1,6 und Erlösen von 1,8 Millionen Euro.

Gegner: Flughafen-Genehmigung muss warten

Nach dem Urteil im Fall Sulingen setzten die in einem Aktionsbündnis zusammengeschlossenen Gegner von Stuttgart 21 auf ein Umdenken beim Eisenbahn-Bundesamt. In einem Schreiben an die Bonner Behörde hatte Steffen Siegel, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Filder, vor der am Freitag erfolgten Genehmigung des Flughafen-Abschnitts gewarnt. Die Planfeststellung für den Fernbahnhof am Airport nannte er „voreilig“, schließlich hänge bei Stuttgart 21 jeder Abschnitt auch mit dem Hauptbahnhof zusammen. Das Verwaltungsgericht in Stuttgart, glauben die Gegner des Tiefbahnhofs, werde am 9. August an der Leipziger Entscheidung nicht vorbei kommen können. Ziel der dortigen Richter sei grundsätzlich ein möglichst weit gehender Erhalt von Eisenbahn-Infrastruktur.