Bis zu 7,9 Milliarden Euro sei es günstiger, nun aus Stuttgart 21 auszusteigen statt das Projekt zu Ende zu bringen. Das behaupten S-21-Gegner und stützen sich auf Berechnungen eines Münchner Büros. Die Bahn widerspricht.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Ein Ausstieg aus Stuttgart 21 könnte um einen Milliardenbetrag günstiger kommen, als der Weiterbau am Bahnknoten in Stuttgart. Das geht aus einer Kalkulation hervor, die das Münchner Beratungsbüro Vieregg-Rössler (VR) am Freitag im Auftrag des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 vorgelegt hat. Die Rechnung setzt allerdings voraus, dass die Gesamtkosten auf die ebenfalls von VR prognostizierten 9,8 Milliarden Euro ansteigen. Wegen dieses Zusammenhangs nennt Peter Sturm, der Geschäftsführer der DB-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm, die Kalkulation „einen klassischen Folgefehler“. Die Bahn bleibt bei ihrer Darstellung, den Umbau des Bahnknotens für rund 6,5 Milliarden Euro stemmen zu können.

 

Der Betriebswirt Martin Vieregg setzt als „unmittelbare Ausstiegskosten“ 1,5 Milliarden Euro an. Darin enthalten seien als größter Batzen die Ausgaben für bereits geleistete Arbeiten in Höhe von 730 Millionen Euro sowie Planungskosten von 309 Millionen Euro. Der Rest verteilt sich auf Zahlungen, die die Bahn an Auftragnehmer bezahlen müsse, die die Arbeiten nicht mehr zu Ende bringen können, ebenso wie Kosten für die Wiederherstellung des Kopfbahnhofs in seiner ursprünglichen betrieblichen Form.

Rückabwicklung des Grundstücksgeschäfts

Das Grundstücksgeschäft, bei dem die Stadt Stuttgart im Dezember 2001 die frei werdenden Gleisflächen für 459 Millionen Euro (damals 897,7 Millionen DM), müsste rückabgewickelt werden. Die Kosten dafür taxiert Vieregg auf 369 Millionen Euro, da Teile auch ohne Realisierung von S 21 bebaut werden können. Zudem seien die Ausgaben der Bahn gleichzeitig Einnahmen der Stadt. Zudem erhalte die DB ja die Flächen zurück, was als Anlagevermögen in die Bilanz einfließe.

Ausbau des Kopfbahnhofs für zwei Milliarden Euro

Die bestehende Bahninfrastruktur müsse freilich auf den Neubaustandard gebracht werden, den die neuen Gleise, Signale und Oberleitungen bei Stuttgart 21 böten. Dafür setzt Rössler einen Betrag von 400 Millionen Euro an. Ausbauten am Kopfbahnhof, zwei weitere Gleise nach Bad Cannstatt, einen Tunnel auf die Filder von Obertürkheim nach Ostfildern summieren sich bei Vieregg auf zwei Milliarden Euro. Mit dieser Ausbauvariante liegen nach seinem Dafürhalten die Ausstiegkosten 5,9 Milliarden Euro unter den Baukosten von S 21, verzichte man auf den Ausbau des Kopfbahnhofs käme der Ausstieg 7,9 Milliarden Euro günstiger als der Weiterbau wie beschlossen, der am Ende mindestens 9,8 Milliarden Euro kosten werde.

Vieregg plädiert dafür, das Geld für den Ausbau in die Hand zu nehmen. Nach einem möglichen S-21-Abbruch gebe es keine „architektonisch ansprechende Gesamtlösung für den Kopfbahnhof“. Der verfüge überdies über weniger Zulaufstrecken als S 21, die Fahrzeit nach Ulm verlängere sich um zehn Minuten und eine Verlagerung des Abstellbahnhofs zur Schaffung innerstädtischer Wohnbauflächen mache weitere Gleise nach Bad Cannstatt notwendig. Fürs direkte Bahnhofsumfeld regt er an, die Schillerstraße in den ausgehobenen Trog zu legen, der eigentlich für den Durchgangsbahnhof vorgesehen ist. Das Loch biete Platz für die Fahrspuren, einen Omnibusbahnhof sowie ein Parkdeck für Autos.

Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, sieht vor allem die Aufsichtsräte der Deutschen Bahn unter Druck. Da das von Vieregg vorgelegte Zahlenwerk belege, dass Stuttgart 21 unwirtschaftlich sei, müssten die Unternehmensaufseher eigentlich den sofortigen Projektausstieg beschließen, um Schaden von der DB abzuwenden. Das Aufsichtgremium tritt am 15. März das nächste Mal zusammen. Bis dahin können sich die 20 Mitglieder des Aufsichtsrats in das Vieregg-Papier vertiefen. Das Aktionsbündnis hat die Prognose auf den Postweg gebracht. „Der Aufsichtsrat muss nun ein externes Gutachten in Auftrag geben“, fordert von Loeper. Ein Festhalten am Projekt sei „eine nicht zu überbietende strafbare Untreue zu Lasten der Bahn und der Allgemeinheit“.

Politische Schützenhilfe kommt derweil von der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“. Deren verkehrspolitische Sprecherin Sabine Leidig fordert zum wiederholten Mal die Offenlegung eines Berichts des Bundesrechnungshofs zur Kostenentwicklung bei Stuttgart 21. Die Expertise liege seit Dezember 2014 vor. Das Zurückhalten könne nur bedeuten, dass in der Stellungnahme Sprengstoff stecke, so Leidigs Folgerung.