Noch vor Weihnachten beginnt ein Reigen von Klagen der S-21-Partner untereinander: Die Bahn verklagt das Land, das Land verklagt die Stadt – und die Flughafenchefs müssen auch Rede und Antwort stehen.

Stuttgart - Die Finanzierungsschwierigkeiten des Bahn- und Städtebauprojekts Stuttgart 21 und eine Klageandrohung der Bahn auf die Mitzahlung von zwei Milliarden Euro weiterer Baukosten lösen womöglich eine ganze Reihe weiterer Klagen unter den Projektpartnern aus. Sie beschäftigen das Landeskabinett und den Stuttgarter Gemeinderat.

 

Der Gemeinderat soll kurzfristig in seiner Sitzung am Donnerstag sofortige Verhandlungen über die Mehrkosten mit dem Land beschließen. Sie sollen bereits am 23. Dezember beginnen. Dieses Vorgehen empfiehlt OB Fritz Kuhn (Grüne) in einer am Mittwoch erstellen, nicht öffentlichen Vorlage. Außerdem solle die Stadt „eventuelle Ansprüche gegen das Land und die weiteren Projektpartner gleichfalls prüfen“.

Die Flughafengesellschaft (FSG), bei S 21 wegen des Gäubahn- und ICE-Anschlusses ein Großzahler, nimmt an den Gesprächen teil. Deren Geschäftsführer Georg Fundel und Walter Schoefer werden von den FSG-Gesellschaftern Stadt und Land aufgefordert, „unverzüglich“ noch 2016 mit dem Land zu verhandeln. Die Chefs sind „von jeglicher Haftung freigestellt, falls dem Flughafen ein Schaden entstehen sollte“, er also entweder an die Bahn direkt oder an das Land zahlen müsste. Das steht in einem Formular, welches Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) am Dienstag vom Finanzministerium, das von Edith Sitzmann (Grüne) geführt wird, erhalten hat. Föll soll die Haftungsfreistellung unterschreiben.

Bahn will Klage am Freitag einreichen

Die Bahn will ihre Ansprüche auf Weiterzahlung gegenüber allen Partnern am Freitag durch die Einreichung diverser Klagen beim Verwaltungsgericht Stuttgart durchsetzen.

Bahnchef Rüdiger Grube hatte die Partner vor Wochen gebeten, einer sogenannten Verjährungshemmung zuzustimmen. Sie hätte die Klage der Bahn aufgeschoben. Fast alle Partner lehnten diesen Aufschub ab, nur der Verband Region Stuttgart (VRS) zeigte Grube nicht die kalte Schulter. Der VRS zahlt einen Festbetrag von 100 Millionen Euro und sieht keine weiter Zahlungspflicht. Grube war bereits im März 2013 vom Bahn-Aufsichtsrat verpflichtet worden, die S-21-Partner in Regress zu nehmen. Das Kontrollgremium hatte damals angesichts einer Kostenexplosion von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro zwei Milliarden zusätzlich beschlossen. Grube sollte sich das Geld von den Partnern zurückholen. Die Basis dazu könnte der am 2. April 2009 geschlossene S-21-Finanzierungsvertrag geben. In Paragraf 8 gibt es die Sprechklausel. Sie regelt explizit, dass „im Falle weiterer Kostensteigerungen“ (über 4,526 Milliarden Euro) Bahn und Land Gespräche aufnehmen.

Zwar will die Bahn sicherheitshalber alle Partner verklagen, es zeichnet sich aber ab, dass sie das Land als sogenannten Poolführer und damit alleinigen Ansprechpartner anerkennen könnte. „Wir wollen nicht Poolführer sein, aber wir könnten dazu gezwungen werden“, sagt ein Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Weil es möglich wäre, dass das Land zu Milliardenzahlungen verurteilt wird, „müssen wir im Interesse des Landes Vorsorge treffen“, so der Sprecher.

Die Projektpartner müssen sich unterschiedlich positionieren

Das Land befürchtet, genauso wie die Bahn, Ansprüche zu verlieren, wenn es seine Partner nicht bis Ende 2016 verklagt. Aufschieben kann auch diese Klage nur eine Verjährungshemmung. Das Thema ist am Dienstag im Ministerrat besprochen und eine andere Lösung gefunden worden. Statt der Verjährungshemmung wird nun verhandelt. Denn das Bürgerliche Gesetzbuch beschreibt in Paragraf 203, dass Verhandlungen über Ansprüche zwischen Schuldner und Gläubiger die Verjährung hemmen.

Die Projektpartner müssten sich gegenüber der Bahn „unterschiedlich positionieren“, schreibt OB Kuhn an den Gemeinderat. Der jahrzehntelange S-21-Gegner Kuhn äußert sich wohl wegen der kommenden Klage seit einigen Monaten auffallend positiv bis überschwänglich zum Projekt. Er sei der Überzeugung, dass Stuttgart 21 „der Stadt gut tue“, sagte er am Montag bei einem Tunneldurchschlag. Die finanziellen Risiken für die Stadt sind enorm. Würde sich die Bahn gegenüber dem Land und dieses sich dann gegenüber der Stadt durchsetzen, müsste Stuttgart bis zu 290 Millionen Euro zahlen. Bei einem Streitwert von 30 Millionen Euro betrügen die „Gerichts- und Anwaltskosten bereits in der ersten Instanz rund 900 000 Euro“, schreibt Kuhn an den Gemeinderat.