Der Nahverkehr muss im Notfall den Tiefbahnhof und die S-21-Tunnels nutzen. Das kann teuer werden. Über eine Lösung wird noch diskutiert.

Stuttgart - Im Schlussviertel des zweiten Sitzungstages hatte der Moderator Heiner Geißler seine Stimme erhoben und festgestellt: "Meine Damen und Herren, es ist doch wichtig zu wissen, ob künftig auch noch bei einem Notfall alle Züge auf allen Strecken fahren können." Die Verwirrung des Schlichters nach sechs Stunden Sitzung war durchaus nachvollziehbar: Die Projektbefürworter hatten nämlich noch am Vormittag erklärt, dass bei den heute gar nicht so selten vorkommenden Sperrungen des S-Bahn-Tunnels unter der Innenstadt die Hälfte der Vorortlinien künftig im Stuttgart-21-Tunnelnetz weiter verkehren würde.

Am Nachmittag hieß es dann plötzlich, dass die für diese S-Bahn-Fahrten notwendige Sicherungstechnik noch gar nicht für alle betreffenden Tunnels geplant sei. Heute wird im Störfall so vorgegangen, dass die betreffenden S-Bahn-Züge oberirdisch in den Hauptbahnhof einfahren und dort enden. Nach dem Abriss geht das natürlich nicht mehr. Konkret geht es bei diesem Thema darum, welches Zugbeeinflussungssystem auf den Stuttgart-21-Gleisen zwischen Feuerbach und Wendlingen künftig eingesetzt wird, das Informationen vom Gleis in die Lok zur Sicherung der Zugfahrt überträgt.

Eine Kernaufgabe ist beispielsweise, das unbefugtes Überfahren eines Haltesignals zu verhindern. Messpunkte auf der Strecke können eine Zwangsbremsung auslösen. Das System überwacht die Höchstgeschwindigkeit – es dient in der modernen Variante aber auch als Tempomat. Dank diesem Allesversteher können die Züge in kürzerem Abstand hintereinander fahren. Das beeinflusst die Kapazität des Bahnhofes. Die Diskussion im Rathaus hat deutlich gemacht, dass dies einer, wenn nicht der Knackpunkt im Streit um Sinn und Unsinn des Milliardenprojekts ist.

Der Technikvorstand der Deutschen Bahn AG, Volker Kefer, hat nun am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass zumindest der innere Stuttgart-21-Ring mit zweierlei Zugbeeinflussungssystemen ausgestattet werde, um den Bedürfnissen aller Zuggattungen gerecht zu werden. Damit sei klar, dass nicht nur alle Fern- und Regionalzüge fahren könnten, sondern im Notfall auch die S-Bahn. Wichtig ist im Ring vor allem der Tunnel in Richtung Wangen, denn er führt zur bestehenden Neckartalstrecke.

Die Deutsche Bahn wird auf den Strecken, auf denen ICE und IC oder der französische TGV fahren werden, das moderne grenzüberschreitende System ETCS (Level 2) in die Gleise einbauen. Folglich werden dann nach und nach auch alle Loks, die dort unterwegs sind, den entsprechenden Empfänger erhalten. Die Investitionskosten belaufen sich auf etwa 300.000 Euro pro Triebfahrzeug, also 600.000 Euro pro Zug. Kefer sagte, in den europäischen Korridoren, hier jener zwischen Paris und Bratislava, sei man angehalten, diese Technik zu verwenden. Dafür würde im Bund insgesamt eine Milliarde Euro investiert.

Wohin fahren die S-Bahnen im Notfall?


Die zweite von Kefer für den inneren Ring zugesagte Sicherungstechnik ist die Variante PZB 90, das sogenannte punktförmige Zugbeeinflussungssystem, das alle Loks als Mindestvoraussetzung haben müssen. Also auch die in mehr als hundertfacher Ausführung fahrenden S-Bahnen, die im Auftrag des Verbandes Region Stuttgart (VRS) unterwegs sind.

Am vergangenen Freitag haben sich die Projektkritiker die Frage gestellt, wie denn nun eigentlich die S-Bahnen im Notfall durch den Fildertunnel in Richtung Flughafen fahren können, da doch in den Röhren bisher nur das für die heutigen S-Bahnen unverständliche System ETCS geplant ist? Und wie verhält es sich mit alten Regionalzügen in Richtung Ulm, die auf der schnellen neuen Strecke zwischen Wendlingen und Flughafen unterwegs sein werden, wo ebenfalls nur die für ICE und IC taugliche Zugbeeinflussung hinterlegt sein soll?

"Wir sind im Moment dabei, dies alles zu erörtern", hat Volker Kefer den Kritikern als Antwort angeboten. "Wir diskutieren, was sinnvoll und richtig ist." Würde die Bahn den Fildertunnel neben ETCS auch mit der PZB-Sicherungstechnik ausstatten, ginge das laut Bahn-Experten wohl zulasten der Leistungsfähigkeit der Strecke und auch des Tiefbahnhofs, da PZB größere Abstände zwischen den einzelnen Zügen erfordere. Die Kosten für diese Rückfallebene würden das Projekt außerdem weiter verteuern.

Die zweite Variante wäre, auf die Rückfallebene PZB zu verzichten und alle Nah- und Regionalzüge für das moderne ETCS-System mit Empfängern auszustatten. Das würde Stuttgart 21 finanziell entlasten und die Leistungsfähigkeit erhöhen. Für die Nachrüstung seiner Züge wäre nämlich der Regionalverband verantwortlich. Eine Summe von 30 bis 40 Millionen Euro steht dafür im Raum. Zum Vergleich: der Verband hat für Stuttgart 21 einen Beitrag von 100 Millionen Euro geleistet. "Herr Bopp, das Thema müsste Sie doch interessieren", hatte Heiner Geißler an die Adresse des Regionalpräsidenten Thomas Bopp gesagt, der bisher als einziger Teilnehmer des siebenköpfigen Gremiums auf Befürworterseite stumm geblieben war. Die Antwort lieferte Boris Palmer (Grüne): Der Tübinger OB sagte, dieses Thema werde erneut aufgerufen, wenn es um die Wirtschaftlichkeit des Projekts Stuttgart 21 geht.