Die Kundgebung gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 auf dem Schlossplatz stand im Zeichen der Solidarität mit der Türkei. Bürgerbewegungen aus aller Welt tauschen sich über den Kampf gegen Großprojekte aus.

Stuttgart - Einen Moment war es still auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Auf der Tribüne wurde die Liveschaltung nach Istanbul angekündigt. Die ersten Worte von Martin Thoma, einem deutschen Filmemacher, der in der türkischen Hauptstadt lebt und sich im umkämpften Gezi-Park mit Aktivsten verabredet hat, lösen dann tosenden Applaus aus.

 

Allein die gespürte Anwesenheit der türkischen Aktivisten genügte offenbar. Denn das Interview von Martin Thoma war angesichts des Lärms im Gezi-Park und der Geräuschkulisse auf dem Stuttgarter Schlossplatz kaum verständlich. Es wurde schließlich abgebrochen. Die Stuttgarter Bewegung gegen den Bau des Tiefbahnhofs scheint in den Demonstranten vom Taksim-Platz neue Helden gefunden zu haben. Menschen tragen türkische Fahnen. Sie sind mit den bekannten Stuttgart-21-Aufklebern geschmückt. Auf Transparenten steht: „Wir grüßen die Wächter vom Gezi-Park“ oder „Stuttgart und Taksim – Hand in Hand“. Auch die Redner auf der Tribüne nehmen Bezug auf die Proteste in der Türkei, interpretieren sie als Zeichen des globalen Widerstandes gegen das, was sie d als „Prinzip Stuttgart 21“ bezeichnen.

Norbert Bongartz, Co-Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, erklärt, was damit gemeint ist. „Die Politik setze im Interesse von Investoren Projekte durch, ohne Rücksicht auf die Interessen der Bürger und ohne ausreichenden demokratische Legitimation, sagt er. Er nennt als Beispiel für das „Prinzip Stuttgart 21“ neben der Auseinandersetzung um den Gezi-Park in Istanbul, auch das Fiasko des Flughafenbaus in Berlin und andere Infrastrukturprojekte in Deutschland.

Tatsächlich schildern dann auch auf der Tribüne Vertreter von Bürgerbewegungen aus Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, vom Oberrhein und dem italienischen Turin ihre Erfahrungen im Kampf gegen Großprojekte. Unter den von den Veranstaltern geschätzten 8000 Demonstranten (Die Polizei geht von circa 4000 Teilnehmern der Kundgebung aus) sind auch viele Türkeistämmige. Sie zeigen ihrerseits Solidarität mit der Protestbewegung gegen Stuttgart 21. Ihre Plakate wenden sich nicht nur gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, sondern tragen auch die Botschaften der S-21-Gegner.

Niemand fühlt sich vereinnahmt

Offenbar scheint unter den Türkeistämmigen niemand das Gefühl zu haben, vereinnahmt zu werden. Gleichwohl richten sich die Proteste in der Türkei längst nicht nur gegen den Abriss der Bäume im Gezi-Park , sondern allgemein gegen den autoritären Politikstil der türkischen Regierung.

Auf dem Marktplatz haben laut Schätzungen der Polizei rund 500 Türken und Deutsche mit türkischen Wurzeln kurz vor der S-21-Kundgebung auf dem Schlossplatz demonstriert. Auch vor dem Rathaus mischen sich die beiden Gruppen. S-21-Plakate sind zu sehen zwischen den Transparenten mit dem Konterfei des türkischen Republikgründers Kemal Atatürk. Eine Organisatorin der Kundgebung, Mehtap Degirmencioglu freut sich über die Solidarität der Deutschen. Es gäbe viele Ähnlichkeiten zu der Auseinandersetzung in Stuttgart. „Aber natürlich geht es uns nicht allein um den Park, sondern um die gesamte politische Lage“, sagt sie. Doch genau das scheint die türkeistämmigen Stuttgarter Sympathisanten der Proteste in der Türkei mit den Bewegung gegen Stuttgart 21 gemeinsam zu haben.