Am 24. Juli und am 29. September 2012 verunglückte bei der Ausfahrt auf Gleis 10 der aus elf Reisezugwagen bestehende Intercity 2312. Beide Male sprangen Wagen an einer Weiche aus den Schienen. Bei der ersten Entgleisung entstand ein Sachschaden in Höhe von 370 000 Euro, bei der zweiten Entgleisungen gab es acht Verletzte und einen Sachschaden in Höhe von 1,7 Millionen Euro. Ein Verfahren wegen Gefährdung des Bahnbetriebs wurde nach Informationen der Bundesregierung von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Die Unfälle wurden von der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle (EBU) untersucht. Dabei wurde am 9. Oktober 2012 eine Versuchsfahrt unter vergleichbaren Bedingungen wie bei den ersten beiden Entgleisungen unternommen. Auch dabei entgleiste der Zug.

Am 8. April 2014 veröffentlichte die EUB ihren Unfallbericht. Hauptursache sei ein Versagen der Puffer der entgleisten Wagen gewesen. Die sogenannte Überpufferung habe die Wagen an der Weiche aus den Schienen gedrückt.

Das Gleis 10, das bei allen drei Entgleisungen befahren worden war, war im Zuge der Bauarbeiten für Stuttgart 21 umgebaut worden. Neue Weichen und Schienen wurden eingebaut, um Platz für die Baugrube zu schaffen. Dabei wurde nach Angaben des Unfallberichts mehrfach von langjährig erprobten Regelwerten und Soll-Vorgaben abgewichen, Mindeststandards seien aber eingehalten worden. Deshalb kommt der Unfallbericht zu dem Ergebnis, dass infrastrukturelle Einflüsse die Entgleisungen begünstigt, aber nicht ausgelöst hätten.

Unbestritten waren aber die direkten Folgen der Entgleisungen. Zunächst wurden Gleise gesperrt, was erhebliche Auswirkungen auf den S-Bahn-Verkehr hatte, der damals das erste Mal dauerhaft aus dem Takt geriet. Später wurde bekannt, dass die Gleise 8 und 10 nur noch unter Auflagen genutzt werden dürfen: Dort werden nur noch Triebfahrzeuge, also vor allem ICE-Züge, eingesetzt, mit denen Wagen aus dem Bahnhof gezogen werden können; für Züge, bei denen die Lokomotive die Wagen schiebt, sind die Gleise gesperrt – für einen Kopfbahnhof wie die Stuttgarter Station eine erhebliche Einschränkung.

Parallel dazu versuchte die Grünen-Fraktion im Bundestag um ihren bahnpolitischen Sprecher Matthias Gastel aus Filderstadt (Kreis Esslingen) auf politischer Ebene offene Fragen zu klären. Dabei kam 2014 beispielsweise heraus, dass Puffer der Unfallfahrzeuge spurlos verschwunden sind. Für Gastel waren diese und andere Ungereimtheiten Anlass genug für eine weitere Kleine Anfrage, die die Bundesregierung (Drucksache 18/6310) mittlerweile beantwortet hat. Daraus ergeben sich neue Erkenntnisse zu zentralen Komplexen.

Die Ursachen und die Trassierung wegen S 21

Die Entgleisungen werden „auf das Zusammenwirken mehrerer Einflussfaktoren“ zurückgeführt, die „im Ergebnis zum Versagen jeweils eines Puffers und zur Überpufferung der Fahrzeuge geführt haben“. Dazu zählten „die Trassierung der Gleisverbindung mit Mindestwerten, die Verwendung eines Speisewagens mit 27,5 Metern Länge, der Einsatz im Wendezug (also mit Triebfahrzeug am Zugschluss) und für diese Konstellation nicht genügende Eigenschaften eingesetzter Puffer“. Die Identifizierung eines allein ursächlichen Sachverhalts sei nicht möglich.

Gastel bewertet die Antwort so, dass die Bundesregierung konkret vier Einflussfaktoren nenne, von denen jedoch drei (Speisewagen, Wendezug, Puffer) vielerorts auftreten würden. „Einzig die ungewöhnliche Trassierung ist nur in Stuttgart vorzufinden“, sagt der Abgeordnete, „nirgendwo in Deutschland gibt es eine solch abenteuerliche Weichenverbindung wie im Stuttgarter Hauptbahnhof.“ Auch wenn es der Bundesregierung und der Bahn nicht gefalle, folgert Gastel: „Die Unfälle sind die unmittelbare Folge von Umbaumaßnahmen im Gleisvorfeld für den Bau von S 21.“ In ihrer Antwort verweist die Regierung darauf, dass die DB Netz erklärt habe, es „seien keine Weichenverbindungen . . . eingebaut, die ein signifikantes Entgleisungsrisiko in sich bergen“.

Die Folgen für den Betrieb und das Fazit

Dass die Gleise 8 und 10 nur noch von ICE-Zügen befahren werden, war als Folge der Entgleisungen seit Langem bekannt. Nach der fast dreimonatigen Sperrung direkt nach den Unfällen gelten die Auflagen des Eisenbahn-Bundesamts für die beiden Fahrwege seit Ende Januar 2013. Erst aus der Antwort der Regierung wird nun bekannt, dass die Fahrmöglichkeiten für Züge aus Bad Cannstatt stark eingeschränkt sind. So können Abfahrten eines Regionalexpresses auf Gleis 9 und Einfahrten eines ICE auf Gleis 10 nicht zur gleichen Zeit stattfinden, auch Züge mit einer Länge über 380 Metern schränken die Nutzung der Nachbarbahnsteige ein. Kritik am Unfallbericht weist die Bundesregierung zurück. Die EUB arbeite unabhängig und regelkonform. Videoaufnahmen der Versuchsfahrt gebe es zwar, „Persönlichkeitsrecht und Datenschutz stehen einer Veröffentlichung entgegen“, erklärt sie. Für Gastel steht aber fest, dass die Unfalluntersuchung in Stuttgart „nicht zufriedenstellend“ war, dabei habe die EUB in anderen Fällen bewiesen, dass „sie es kann, wenn man sie lässt.“ Die Bundesregierung und Bahn hätte nach wie vor kein Interesse, die Zugentgleisungen aufzuklären. „Sie kaschieren, verharmlosen und negieren selbst das, was offenkundig ist“, sagt Gastel.

Der Abgeordnete kritisiert, dass die Regierung auf ein Drittel der Fragen „ausweichend oder überhaupt nicht antwortet“. Bund und Bahn hätten kein Interesse, die Entgleisungen aufzuklären, weil „ihnen der Zusammenhang mit Stuttgart 21 sichtlich unangenehm ist.“ Für den Grünen steht fest, dass eine „bundesweit einmalige gefährliche Gleissituation geschaffen wurde, um Platz für die S-21-Baustelle zu gewinnen“. Um Gefährdungen von Fahrgästen abzuwenden, müssten seit drei Jahren massive betriebliche Einschränkungen hingenommen werden, die sich weit über den Stuttgarter Hauptbahnhof hinaus auswirkten. „Die Regierung kaschiert die tatsächlichen Unfallursachen, um weitere Negativbotschaften von S 21 abzuwenden, und die Fahrgäste baden aus, was die DB fahrlässig angerichtet hat“, sagt Gastel.

Was ist im Sommer 2012 passiert

Am 24. Juli und am 29. September 2012 verunglückte bei der Ausfahrt auf Gleis 10 der aus elf Reisezugwagen bestehende Intercity 2312. Beide Male sprangen Wagen an einer Weiche aus den Schienen. Bei der ersten Entgleisung entstand ein Sachschaden in Höhe von 370 000 Euro, bei der zweiten Entgleisungen gab es acht Verletzte und einen Sachschaden in Höhe von 1,7 Millionen Euro. Ein Verfahren wegen Gefährdung des Bahnbetriebs wurde nach Informationen der Bundesregierung von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Die Unfälle wurden von der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle (EBU) untersucht. Dabei wurde am 9. Oktober 2012 eine Versuchsfahrt unter vergleichbaren Bedingungen wie bei den ersten beiden Entgleisungen unternommen. Auch dabei entgleiste der Zug.

Am 8. April 2014 veröffentlichte die EUB ihren Unfallbericht. Hauptursache sei ein Versagen der Puffer der entgleisten Wagen gewesen. Die sogenannte Überpufferung habe die Wagen an der Weiche aus den Schienen gedrückt.

Das Gleis 10, das bei allen drei Entgleisungen befahren worden war, war im Zuge der Bauarbeiten für Stuttgart 21 umgebaut worden. Neue Weichen und Schienen wurden eingebaut, um Platz für die Baugrube zu schaffen. Dabei wurde nach Angaben des Unfallberichts mehrfach von langjährig erprobten Regelwerten und Soll-Vorgaben abgewichen, Mindeststandards seien aber eingehalten worden. Deshalb kommt der Unfallbericht zu dem Ergebnis, dass infrastrukturelle Einflüsse die Entgleisungen begünstigt, aber nicht ausgelöst hätten.