Die Stuttgart-21-Kritiker frohlocken. Ausgerechnet ihr jahrelanger Widersacher, Bahn-Vorstand Volker Kefer, wirft das Handtuch. Sie schöpfen neue Hoffnung, dass Alternativen zum Tiefbahnhofprojekt doch noch zum Zuge kommen – Fragen und Antworten.

Stuttgart - Volker Kefer galt als starker Mann hinter Bahnchef Rüdiger Grube. Nun räumt er seinen Stuhl und zieht die Konsequenzen aus der Kritik an seiner Amtsführung. Es geht dabei nicht nur um das Projekt Stuttgart 21.

 
Welche Auswirkungen hat der Rückzug von Bahn-Vorstand Volker Kefer auf Stuttgart 21?
Der Bahn-Aufsichtsrat will sich mit einem weiteren Gutachten Klarheit über die Probleme bei Stuttgart 21 verschaffen. „Im September wird ein vom Aufsichtsrat angefordertes Gutachten vorliegen, und dann wird der Aufsichtsrat die Diskussion erneut aufnehmen“, sagte Aufsichtsratmitglied Klaus-Dieter Hommel nach einer Sitzung des Kontrollgremiums am Mittwoch in Berlin. Das externe Gutachten hatte der Aufsichtsrat nach Bahn-Angaben bereits am 15. März in Auftrag gegeben. Peter Sturm, Geschäftsführer der Projektgesellschaft Stuttgart–Ulm, stellt klar: „Für die Umsetzung des Gemeinschaftsprojekts Stuttgart–Ulm hat das Ausscheiden von Dr. Kefer keinerlei Auswirkungen. Das Projekt wird selbstverständlich so realisiert, wie es die Verträge mit den Projektpartnern vorsehen und wie es zuletzt Landesverkehrsminister Hermann bekräftigt hat.“ Martin Burkert (SPD), der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestags, sagte: „Die Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 kommen für mich nicht überraschend, allenfalls der Zeitpunkt ist erstaunlich. Aber der Punkt, Stuttgart 21 nicht zu bauen, ist längst überschritten. Dieses Thema ist weg.“ Er hoffe, dass es keine weiteren Kostensteigerungen geben werde, sagte er unserer Zeitung. „Aber die Gefahr, dass das noch wesentlich teurer wird, besteht durchaus“, räumte er ein.
Was sagen die Kritiker des Projektes?
Sie werten Kefers Rückzug als „Eingeständnis des Scheiterns“ des Milliardenvorhabens und als Chance für einen Ausstieg. Das Aktionsbündnis gegen S 21 spricht von einer „persönlichen Notbremse vor dem sicheren Aufprall auf dem Prellbock eines baulich, finanziell und kommunikativ völlig unkontrolliert taumelnden Projekts“. Die Aktivistengruppe Parkschützer sieht sich in der Forderung nach einem Umstieg vom Tiefbahnhof auf die Modernisierung des Kopfbahnhofs bestärkt.
Wie ist der aktuelle Stand bei Stuttgart 21?
Kefer wurde angelastet, den Aufsichtsrat zu spät über mögliche Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen bei S 21 informiert zu haben. Die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens wird voraussichtlich 2023 fertig werden, zwei Jahre später als zuletzt geplant. Nur drei Jahre nach der Kostenexplosion von 4,5 auf 6,526 Milliarden Euro gilt der vom Aufsichtsrat gewährte Nachschlag als aufgezehrt. Siebeneinhalb Jahre vor der Fertigstellung bleibt nur ein Mini-Puffer von 15 Millionen Euro. Die Bauarbeiten laufen inzwischen an verschiedenen Orten. Projektpartner sind neben der Bahn das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart.
Welche Vision haben die S-21-Kritiker?
Die Gegner von S 21 haben ein Alternativkonzept für das Mammutprojekt entwickelt. Kern ist, dass der Kopfbahnhof (K 21) bestehen bleibt und modernisiert wird. Was aber passiert mit der Riesen-Baugrube? Vorstellbar sind eine Parkgarage im Untergeschoss des etwa zwölf Meter tiefen Lochs. Darüber soll ein Fernbusbahnhof und ein Abstellplatz für Fahrräder entstehen. Angeschlossen wären auch Mietwagen-Firmen. Die Bahnsteige sollen in Abstimmung mit den Gewölben in der Bahnhofshalle im Bonatzbau mit einem in vier Abschnitte unterteilten Glasdach überspannt werden. Der abgerissene Südflügel soll nach Vorstellung der Kritiker mit langgestreckten Glasbauten wiederhergestellt werden, die von vier Steingebäuden unterbrochen werden. Auch der Nordflügel soll in Teilen wieder aufgebaut werden. Die Baugrube in Richtung Schlossgarten könnte in ein Amphitheater umgewandelt werden – analog zu einer früheren Stätte neben dem ebenfalls abgerissenen Landespavillon.
Was sagt die Stadt als S-21-Projektpartner?
„Stuttgart hat ein elementares Interesse, dass das Bahnprojekt mit dem unterirdischen Hauptbahnhof im Zentrum der Stadt bestmöglich verwirklicht wird“, stellt OB Fritz Kuhn(Grüne) klar. Immerhin werde damit eine Infrastruktur geschaffen, die Jahrzehnte Bestand haben müsse. „Ich erwarte von der Bahn und vom Bund, dass es am qualitätsvollen Bau von Stuttgart 21 keinerlei Abstriche geben wird – unabhängig davon, wer im Vorstand der Bahn dieses Projekt künftig zu verantworten hat.“ Kuhn fordert den Bund auf, die Bahn und das Eisenbahnbundesamt als Genehmigungsbehörde so zu unterstützen, dass „das Fertigstellungsdatum und der Kostenrahmen von S 21 gehalten werden können“. Die Stadt sei zu Gesprächen über mögliche Beschleunigungsmaßnahmen beim Bau bereit. „Abstriche beim Brandschutz, bei der Sicherheit des Mineralwasservorkommens und bei der Lebensfähigkeit der Stadt während der Bauzeit kann es aber nicht geben“, so Kuhn.
Wie ist die Position des Landes?
Auf 140 Seiten hat die grün-schwarze Koalition die politischen Leitlinien für die kommenden fünf Jahre festgelegt. Bei S 21 rangen die Koalitionäre lange um die Finanzierung. Jetzt heißt es diplomatisch, in Gesprächen mit der Bahn halte man am Ziel fest, über die zugesagten 930 Millionen Euro sich nicht an dem Milliarden-Vorhaben zu beteiligen. „Es reicht aus meiner Sicht auch nicht, Führungspersonen auszutauschen. Wichtig ist es, dass endlich umfassende Transparenz und Offenheit über den weiteren Zeitplan und die Kostenentwicklung hergestellt wird“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Grüne stellt klar, „dass die Projektpartner die Kosten, die über die vertraglich vereinbarte Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro hinausgehen, nicht übernehmen können“. Das Land zahle für S 21 aufgrund der Finanzierungsverträge „bis zu 930 Millionen Euro, keinen Cent mehr“.
Was passiert, wenn die Bahn den Kostendeckel sprengt?
Es ist völlig ungeklärt, wer Stuttgart 21 weiter finanzieren würde, wenn die inzwischen zur Verfügung stehenden 6,526 Milliarden Euro nicht ausreichen. Die Landesregierung hat selbst eine Beteiligung an den von der Bahn zur Verfügung gestellten zwei Milliarden ausgeschlossen.