Exklusiv Wissenschaftler stoßen in 2,5 Meter Tiefe auf Reste eines Bauwerks. Weitere Grabungen auf der S-21-Baustelle im Mittleren Schlossgarten sind nötig, die aber den Ablauf der Aushubarbeiten nicht beeinträchtigen.

Stuttgart - Wenige Tage nach dem Baustart für den S-21-Tiefbahnhof sehen sich die Bauherrin Bahn und das ausführende Unternehmen Züblin mit einer neuen Situation konfrontiert. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung sind bei archäologisch-bodenkundlichen Sondierungen auf der S-21-Baustelle im Mittleren Schlossgarten mehrere Sandsteinplatten in rund zweieinhalb Meter Tiefe gefunden worden, die Reste eines Bauwerks sein könnten. Das Landesdenkmalamt bestätigte am Donnerstag den Fund, kann aber noch keine Angaben zu dessen Bedeutung machen.

 

„Dazu sind weitere Grabungen und Untersuchungen nötig, die in den nächsten Tagen stattfinden sollen“, sagte Nadine Hilber, die Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart, zu dem das Landesdenkmalamt gehört. Die Bahn, mit der die weiteren Schritte besprochen würden, sei bereits informiert. Auswirkungen auf den Ablauf auf der Baustelle, gar Verzögerungen, seien nicht zu erwarten, sagte Hilber. Das S-21-Kommunikationsbüro gab bis gestern Abend keine Stellungnahme ab.

Behörde muss klären, „ob das etwas besonderes ist“

„Unsere Fachleute waren in den vergangenen Tagen an der Fundstelle. Sie werden jetzt der Frage nachgehen, ob das etwas Besonderes ist“, sagte Hilber. Erst wenn mehr Klarheit herrsche, könne sich das Landesdenkmalamt dazu äußern. Erste Einschätzungen von Experten deuten darauf hin, dass es sich um ein Bauwerk aus dem 18. Jahrhundert handeln könnte, das im Zusammenhang mit dem damals offen laufenden Nesenbach steht: entweder als Schutzmauer vor Überschwemmungen oder als Wasserbecken.

Die bodenkundlichen Untersuchungen im Mittleren Schlossgarten wurden von dem Wissenschaftler Andreas Lehmann vom Institut für Bodenkunde und Standortslehre an der Universität Hohenheim initiiert. Ziel seiner Untersuchungen ist, über die Beschaffenheit der Bodenschichten Hinweise auf die Siedlungsentwicklung Stuttgarts zu bekommen. Dazu eignen sich nach Ansicht Lehmanns die Ablagerungen, die sich nach Überschwemmungen im Bereich des Nesenbachs gebildet haben und die bis heute in den Bodenschichten zu finden sind. Die Zusammensetzung der Böden ist zusammen mit Funden wie etwa Keramikscherben für Lehmann so interessant wie schriftliche Dokumente. Er „liest“ in den Schichten des Mittleren Schlossgartens und will mit den „Informationen von den Sedimenten die Geschichte Stuttgarts rekonstruieren – auch für die Zeit, für die keine schriftliche Belege zu den Überschwemmungen vorliegen“.

Im November 2013 wurde ein steinerner Kopf geborgen

Dass dieses Verfahren Erfolg versprechend ist, hätten ersten Sondagen im November 2013 gezeigt, sagt Lehmann. Dabei wurde im Übrigen auch ein steinerner Kopf geborgen, über dessen Funktion und Datierung weiter gerätselt wird.

Nun untersuchten Lehmann und weitere Experten am Montag dieser Woche unweit des Planetariums auf Höhe des Baufelds 18 der in 25 Abschnitte aufgeteilten Baustelle für den neuen Tiefbahnhof den Untergrund (siehe Foto unten). Wie Bilder der Stuttgarter Zeitung zeigen, entdeckten die Fachleute, darunter auch ein Mitarbeiter des Landesdenkmalamts, in etwa 2,5 Meter Tiefe mehrere Steinplatten aus Schilfsandstein, die in einem Fundament verlegt sind. Die Bilder zeigen auch, dass in die Steinplatten Rinnen eingearbeitet sind, die parallel verlaufen und einige Zentimeter breit sind. Eine Platte ist zudem mit einem Steinmetzzeichen markiert (siehe oben). Die Platten erstrecken sich über mehr als sechs Meter. Erkennbar ist auch, dass unter den Platten ein dickes Fundament besteht. In dieser Schicht fanden die Experten nach Informationen der Stuttgarter Zeitung auch Keramikscherben, die vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammen.

Historisches Bauwerk in 2,5 Meter Tiefe vermutet

Auch wenn das Landesdenkmalamt sich zu Details des Funds ohne eine eingehende Untersuchung nicht äußern will, gehen andere befragte Fachleute davon aus, dass die Platten darauf hindeuten, dass sich in etwa 2,5 Meter Tiefe ein Bauwerk befunden habe. Die parallelen Rinnen könnten als Vertiefung für andere Bauteile gedient haben. Möglicherweise sei das Bauwerk im 18. Jahrhundert oder früher errichtet worden – und weil der steinerne Kopf unweit des jetzigen Fundorts entdeckt worden war, ist nicht auszuschließen, dass er zu dem Bauwerk gehört haben könnte.

Während archäologisch noch vieles unklar ist, sieht sich der Hohenheimer Bodenkundler Andreas Lehmann auf dem richtigen Weg. Schon die, wenn auch noch vorläufigen und wissenschaftlich auszuwertenden Ergebnisse des Montags zeigten, dass im Untergrund des Mittleren Schlossgartens manches schlummere, was interessant sei für die Siedlungs- und Stadtgeschichte. Dieses Fazit zieht Lehmann auch aus der im November 2013 erfolgten Sondage. Die verschiedenen Funde – von dem bereits erwähnten Steinkopf über Keramik aus dem 15. und 16. Jahrhundert bis hin zu Holzkohleresten – in unterschiedlichen Tiefen bestätigten die These, so Lehmann, dass „Artefakte aus dem frühen Stuttgart durch Überschwemmungen in den Mittleren Schlossgarten gelangt sind“.

Experten sprechen von „sehr günstiger Archivsituation“

So haben mittlerweile erfolgte Untersuchungen nach der Radiokarbonmethode zur Altersbestimmung erbracht, dass die Materialien aus den Tiefen zwischen 148 und 260 Zentimetern aus der Zeit zwischen 1630 und 1100 nach Christus stammen – mit der Tendenz, so Lehmann, dass „das Alter mit der Tiefe zunimmt“. Der Bodenkundler spricht von einer „sehr günstigen Archivsituation“, die „weit reichende Rückschlüsse zu Wechselwirkungen zwischen der Siedlungsentwicklung Stuttgarts und den vielfach katastrophalen Überflutungen des Nesenbachs ermöglichen“. Ziel von Lehmann ist deshalb, dass es ein Forschungsprojekt gibt, das sich intensiver mit diesem Fragen beschäftigt. Er ist sicher, dass auch neue Erkenntnisse aus Zeiten der sehr frühen Entwicklung gewonnen werden könnten, für die keine schriftlichen Belege vorliegen. „Die Befunde werfen ein neues Licht auf die Siedel- und Lebenssituation im spätmittelalterlichen und frühzeitlichen Stuttgart, die offensichtlich viel stärker von Hochwasserereignissen und vom Nesenbach geprägt waren als bisher angenommen“, sagte er.