Exklusiv Gegner des Projekts Stuttgart 21 haben Proben aus dem Leitungssystem des Grundwassermanagements gezogen. Diese weisen hohe Anteile an Eisen auf. Die Bahn widerspricht den aus ihrer Sicht illegalen Messungen. Die Stadt sieht keinen Handlungsbedarf.

Stuttgart - Am Neckartor überspannen die blauen Rohre des Grundwassermanagements von Stuttgart 21 auf einer Tragekonstruktion die sechsspurige Willy-Brand-Straße. Weniger Meter davon entfernt verschwindet die Leitung in einem grauen Schaltkasten, in dem Regeltechnik und Geräte zur Messung der Wassermenge untergebracht sind. Von dort aus geht es unter dem Asphalt weiter in einen Schacht, von dem aus ein Rohr nach unten führt, durch das das Wasser in den Untergrund gepresst wird: so sieht der Infiltrationsbrunnen an der Kernerstraße aus. Er ist einer von mehreren Dutzend, in denen wegen der S-21-Bauarbeiten abgepumptes Grundwasser nach der Reinigung wieder ins Erdreich zurückgeführt wird. Damit soll erreicht werden, dass die wasserführenden Schichten im Untergrund stabil bleiben. S-21-Gegner kritisieren das Verfahren seit Jahren, sie glauben, dass die grund- und mineralwasserführenden Schichten gefährdet werden.

 

In diesen Befürchtungen sehen sich die Ingenieure 22, eine S-21-kritische Gruppierung, nun bestätigt. In an drei Brunnen gezogenen Wasserproben stellten unabhängige Analyseinstitute eine hohe Konzentration von Eisen fest. Schon das in Flaschen gefüllte Wasser weist deutlich sichtbar eine Färbung auf. Die Analysen ergaben Werte zwischen zwölf und 17 Milligramm pro Liter für Proben aus der Kerner- und der Jägerstraße. Das an einer mittlerweile stillgelegten Leitung, die in den Neckar führt, entnommene Wasser enthielt höhere Anteile, einmal sogar 139 Milligramm Eisen.

Proben aus dem Leitungsnetz entnommen

Die Proben wurden in der Zeit von Ende April bis Mitte Mai genommen. Die Protokolle der Untersuchungen, die von verschiedenen renommierten Stuttgarter Labors vorgenommen wurden, liegen der Stuttgarter Zeitung vor. In Briefen an Stadt, Land und Eisenbahnbundesamt haben die Ingenieure 22 allerdings nur allgemein von höheren Werten berichtet und die Behörden zum Eingreifen aufgefordert.

Das S-21-Kommunikationsbüro, das daraufhin von der Stadt informiert wurde, weist die Messwerte zurück und kritisiert das Vorgehen. „Die für uns nicht nachprüfbaren Ergebnisse der Ingenieure 22 decken sich in keiner Weise mit den der Bahn vorliegenden Erkenntnisse und Messungen“, erklärt eine Sprecherin des Kommunikationsbüros gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Der Betrieb der Grundwassermanagementanlage werde überwacht und erfolge in dem von dem Planfeststellungsbeschlüssen vorgegeben Rahmen. Dies werde dokumentiert und stehe den Aufsichtsbehörden zur Verfügung. Das Wasser könne von den S-21-Gegnern nur durch illegale Manipulationen entnommen werden. Zudem hätten die Ingenieure 22 in dem Schreiben an die Stadt nicht erklärt, woher die Proben stammten, und auch keine Analyseberichte beigelegt. Deshalb könnten auch keine von der Bahn an den Brunnen gemessenen Werte genannt werden.

S-21-Kritiker sehen frühere Befürchtungen bestätigt

Die Probennahme sei an öffentlich zugänglichen Stellen erfolgt, Verschlüsse und Wasserhähne seien nicht gesperrt, erklären die Ingenieure 22. Sie ziehen aus den Messungen die Schlussfolgerung, dass die Eisenbelastung des Wassers deutlich höher ist, als die im Planfeststellungsbeschluss erwarteten Anteile von 0,05 bis zwei Milligramm Eisen pro Liter. „Die von uns ermittelten Werte übersteigen diese Angaben um ein Vielfaches“, sagt Hans Heydemann von den Ingenieuren 22. Sie sind auch höher als beispielsweise der in Hamburg geltende Grenzwert von zwei Milligramm pro Liter für Wasser, das in öffentliche Gewässer geleitet wird. In Stuttgart landet ein Teil des abgepumpten Grundwassers im Neckar. Für Heydemann, der als Ingenieur für Energie- und Anlagentechnik arbeitete, sind die Ergebnisse keine Überraschung. Er hatte schon im Frühjahr 2011 gegenüber dem Eisenbahnbundesamt, aber auch gegenüber der Bahn, der Stadt und dem Land darauf hingewiesen, dass die für das Grundwassermanagement ausgewählten Stahlrohre, die keinen Korrosionsschutz haben, rosten würden und „deshalb für die Ableitung von Grundwasser vollkommen ungeeignet sind“, hieß es im Juni 2011 in einer Presseerklärung der Ingenieure 22. Damit werde auch gegen die Forderung im Planfeststellungsbeschluss verstoßen, wonach „Baustoffe, die im Kontakt mit Grundwasser stehen, grundwasserverträglich sein müssen“.

Anzeige bei der Polizei erstattet

Die beteiligten Stellen hatten diese Einwände damals zurückgewiesen. Sie stützten sich auch auf eine Erklärung der mit dem Auftrag bedachten Spezialfirma, die auf ihre Erfahrungen bei anderen Projekten hinwies und in deren Stellungnahme es damals unter anderem hieß: „Der Austrag von Eisenhydroxid (Rost) ist vernachlässigbar.“ Zumindest diese Aussage sehen die Ingenieure 22 nun widerlegt. Das weist das Kommunikationsbüro aber zurück: „Die von den Projektgegnern vorgetragenen Spekulationen bezüglich der Rohrleitungen wurden bereits 2011 gegenüber den Fachbehörden widerlegt.“

Die Ingenieure 22 informierten nach den „alarmierenden Ergebnissen“ Ende April das Eisenbahnbundesamt als Genehmigungsbehörde, aber auch zuständige Stellen bei Stadt und Land. Nach erneuten Messungen Anfang Mai erstatteten sie Anzeige bei der Polizei und über das Umweltportal des Landes. Bisher hat nur die Stadt reagiert – allerdings in einer Art und Weise, die bei den Ingenieuren 22 auf großes Unverständnis stößt.

Die Stadt sieht den Anfangsverdacht ausgeräumt

Der Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD), in dessen Dezernat das für die Wasserwirtschaft zuständige Amt für Umweltschutz angesiedelt ist, erklärte, dass die Stadt die Vorhabenträgerin, also die Bahn, dazu veranlasst habe, an allen derzeit aktiven Infiltrationsleitungen eine Wasserprobe zur Sichtprüfung zu entnehmen. „Die vorgelegten Fotos lassen aus wasserwirtschaftlicher Sicht keinen Handlungsbedarf erkennen. Das Wasser weist keine Trübung auf, die eine Gefährdung des Grundwassers befürchten lässt. Der Anfangsverdacht einer Verunreinigung des Grundwassers wurde somit ausgeräumt“, heißt es in dem Schreiben vom 15. Mai. Das Wasser der von den Ingenieuren 22 gezogenen Proben weist dagegen eine gut sichtbare Trübung auf. Die S-21-Gegner halten es für skandalös, dass sich die Stadt nur auf den optischen Eindruck verlasse, zumal wenn es sich um Fotos handle. Nötig und vorgeschrieben sei eine chemische Analyse. Aus Sicht des Heilquellenschutzes müsse die Stadt eigene Kontrollen veranlassen, fordern sie. „Sonst besteht die Gefahr, dass hohe Eisen- beziehungsweise Rostkonzentrationen bei der nächsten Spülung in den Untergrund des Heilquellenschutzgebiets und in den Neckar gelangen.“