Ein Wort hat Hochkonjunktur: Stresstest. Nicht nur das Bahnprojekt Stuttgart 21 muss sich ihm unterziehen.

 Stuttgart - Stresstests für Atomkraftwerke, Stresstests für Banken, Stresstests für Schüler - seit dem Schlichterspruch von Heiner Geißler zum umstrittenen Bahnvorhaben Stuttgart 21 hat ein Wort Hochkonjunktur. Der von ihm definierte Stresstest sollte zeigen, ob im geplanten Stuttgart-21-Tiefbahnhof auch zu Stoßzeiten genügend Züge abgewickelt werden können und das mit "guter Betriebsqualität" und nach "anerkannten Standards des Bahnverkehrs". Seit November 2010 ist das aus zwei ursprünglich englischen Begriffen zusammengesetzte Wort in aller Munde.

 

Dabei stammt es aus einem eng umrissenen Bereich, der Humanmedizin. Stress wird da als körperliche und/oder seelische Belastung verstanden, der Test soll ausloten, wie auf Stress reagiert wird und wie viel noch tolerabel ist. "Früher wurden Raucher und Diabetiker einem Stresstest ausgesetzt", erzählt Doris Steffens, Wissenschaftlerin am Institut für Deutsche Sprache im Mannheim. Sie datiert den Begriff in die 90er Jahre. So wurden etwa am Trierer Auftragsforschungsinstitut daacro bereits 1993 der "Trier Social Stress Test (TSST)" an Menschen vorgenommen. Ein Merkmal des akuten Stresses ist für Nadine Franz von daacro, dass die damit verbundene Belastung unerwartet und unvorhersehbar ist.

 Kritk: Bahn spart Störungen bewusst aus

Genau darauf zielt die Kritik der Stuttgart-21-Gegner ab: Denn die Bahn habe bei ihrer Computersimulation Stör- und Notfälle - etwa Weichen-, Signalstörungen oder Suizide - bewusst ausgespart. Der neue Bahnhof müsse aber so angelegt sein, dass es auch unter solch verschärften Bedingungen nicht zum völligen Kollaps kommt. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Hannes Rockenbauch, resümiert: "Ein Stresstest ohne Stress verdient den Begriff Stresstest nicht."

Seine Ko-Sprecherin Brigitte Dahlbender findet den Hype um das Wort unsäglich. "Jede Überprüfung von irgendetwas ist gleich ein Stresstest." Dabei handele es sich beim Stresstest für Stuttgart 21 um etwas ganz Besonderes und Spezielles, meint die Landeschefin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. "Das kann man nicht auf alles eins zu eins übertragen."

Doch so genau nehmen es die wenigsten mit dem Wort: Die FDP-Fraktion im Südwesten sieht die Grünen beim Regierungsstresstest durchgefallen. Und Daimler-Chef Dieter Zetsche verkündet, dass die neuen Klima-Kanäle im Mercedes-Benz-Technologie-Zentrum alle Stresstests erfolgreich absolviert haben. Und auch Banken in Europa mussten sich einem Stresstest unterziehen.

Griffig, wertneutral und bringt es auf den Punkt

Warum ist nun der Begriff so populär? Sprachwissenschaftlerin Steffens erklärt: "Er ist griffig, wertneutral, bringt etwas auf den Punkt und kann auf viele Bereiche angewendet werden." Zwar sei er schon zur Jahrtausendwende aus der Medizin auf andere Bereiche ausgeweitet worden. Damals seien Lebensversicherer Stresstests ausgesetzt worden. Doch so richtig in Mode kam der Begriff, seit Ex-CDU-Generalsekretär Geißler im Stuttgarter Rathaus der Bahn den Stresstest für den Untergrund-Bahnhof ans Herz legte.

Begriffe im Zusammenhang mit Stuttgart 21 haben bereits in der Vergangenheit bei der Wahl des Wortes und des Unwortes des Jahres eine Rolle gespielt. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache kürte den "Wutbürger" zum Wort des Jahres 2010. Darunter ist der Bürger zu verstehen, der sich nicht länger politische Entscheidungen über seinen Kopf hinweg gefallen lässt - von diesen sind viele bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 zu finden. Der Stresstest hat gute Chancen, in diesem Jahr auserkoren zu werden.