Die Schweizer Gutachter benötigen mehr Zeit für die Prüfung der bahninternen Fahrplansimulation. Erst Ende Juli soll ihr Testat präsentiert werden.

Stuttgart - Am Freitagvormittag hatte es im Stuttgarter Rathaus bei einer weiteren Vorbesprechung zum Stuttgart-21-Stresstest wieder hektische Pendeldiplomatie gegeben. In getrennten Gesprächen mit Vertretern der Bahn, Projektbefürwortern und -gegnern lotete Heiner Geißler die zeitlichen Spielräume aller Parteien aus. Während die Bahn auf den Start des Vergabeverfahrens am 15. Juli pochte, hatte das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 damit gedroht, der geplanten Veranstaltung am 14. Juli fernzubleiben, falls man nicht mehr Zeit bekomme, die Unterlagen der Bahn und das SMA-Gutachten zu prüfen.

 

Um 11.30 Uhr verkündete Geißler das Ergebnis seiner Besprechungen: Der Termin 14. Juli ist vom Tisch, weil die mit der Begutachtung der bahneigenen Fahrplansimulation beauftragten Schweizer Verkehrsexperten der Firma SMA ihr Testat erst am 21. Juli fertigstellen könnten. Das Gutachten soll dann zunächst den Projektträgern Land, Stadt und Region übergeben werden. "Ende Juli, voraussichtlich acht Tage später, kann dann die öffentliche Präsentation des Stresstests stattfinden", sagte Geißler. Auf einen exakten Termin habe man sich aber nicht verständigt. Vor der Übergabe des SMA-Papiers soll es zudem am 19. Juli eine weitere Informationssitzung geben, bei der die Schweizer offenbar bereits die Grundzüge ihrer Expertise den Projektbefürwortern und -gegnern vorstellen.

Keine positive Vergabe vor der Präsentation

Geißler gab zudem bekannt, dass die Bahn zwar wie angekündigt das Vergabeverfahren für den Bau des Fildertunnels sowie einer weiteren Röhre "aus rechtlichen Gründen" am 15. Juli einleiten werde. Zunächst werde die Bahn allerdings jenen Bietern schriftlich absagen, die dabei nicht zum Zug gekommen sind. "Es findet aber keine positive Vergabe vor der Präsentation statt", so Geißler. Im Klartext: den Zuschlag für den Tunnelbau wird die Bahn erst erteilen, wenn SMA der Bahn ihr Zeugnis ausgestellt hat. Mit dem Stresstest muss der Konzern laut dem Schlichterspruch von Geißler nachweisen, dass der geplante S-21-Tiefbahnhof eine um 30 Prozent höhere Leistungsfähigkeit hat als der Kopfbahnhof.

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, sagte im Anschluss an die Sitzung, es gebe zu denken, dass die Bahn die Vergabe der Bauaufträge "nun doch verschieben kann". Sie kritisierte, dass in den Funktionstest weder eine Störfallsimulation noch ein Notfallkonzept und auch nicht die künftige Nutzung der Gäubahn einbezogen sei. Die Nachfragen des Bündnisses hätten dazu geführt, dass SMA eigene Erkenntnisse gewonnen habe und nun mehr Zeit zur Prüfung brauche.

Kefer: Bahn kann Zeitrahmen für den Bau von S 21 einhalten

Der Bahn-Technikvorstand Volker Kefer betonte am Freitagnachmittag bei einer kurzfristig anberaumten Telefonpressekonferenz, das Aktionsbündnis habe keine neuen Anforderungen an die Prüfer gestellt. Er begründete die Verschiebung der Übergabe des Stresstest-Gutachtens mit dem ohnehin starken Zeitdruck, der für SMA durch die zusätzlichen Fachgespräche noch größer geworden sei. Dadurch sei der Zeitplan "ins Rutschen" gekommen. Insgesamt aber könne die Bahn den bisher geltenden Zeitrahmen für den Bau von Stuttgart 21 einhalten. Kefer: "Das Zeitfenster wird jetzt zwar noch enger, das schmeißt uns den Terminplan aber nicht ."

"Wir sind dem Wunsch der Firma SMA nach einer Terminverschiebung selbstverständlich nachgekommen, weil in der Sache Qualität vor Geschwindigkeit geht", begründete der DB-Manager den geänderten Zeitplan. Das Gutachten müsse mit der gebotenen Sorgfalt erstellt werden, schließlich gehe es darum, "dass das von SMA vorgelegte Ergebnis dann auch von allen Seiten akzeptiert wird". Allerdings müsse der Prozess bis Ende des Monats definitiv abgeschlossen werden, weil am 31. Juli die Bindefrist für die Angebote auslaufe: "Das ist dann der spätestmögliche Termin für die Vergabe."

Die Verschiebung der Präsentation hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Der Fraktionschef der FDP im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, stellte gar die Rolle des Moderators Heiner Geißler infrage. Dieser konterkariere sein eigenes Schlichtungsergebnis. "Es war klar vereinbart, dass am 14. Juli präsentiert wird und dass SMA das Stresstestergebnis zu bewerten hat und nicht die Bahnhofsgegner", erklärte der Liberale. Es sei nicht mehr sicher, ob die Anwesenheit von Geißler bei der Präsentation des Stresstests überhaupt noch als Gewinn zu betrachten sei. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sagte, er gehe davon aus, dass die Bahn zunächst unter Vorbehalt vergebe: "Der Auftrag ist erst dann zustande gekommen, wenn SMA den Stresstest positiv testiert hat." Das sei so in der Schlichtung vereinbart worden.

OB Schuster lobte Geißlers Rolle in dem Prozess

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) begrüßte die Verschiebung der Präsentation des Stresstests: "Wenn es um die Qualität geht, ist es mir lieber, wenn die Gutachter noch eine Woche länger rechnen, als wenn sie es in der Schnelligkeit vielleicht weniger sorgfältig machen." Dass die Bahn die Aufträge im Umfang von 750 Millionen Euro für den Fildertunnel und die Tunnel nach Ober- und Untertürkheim erst Ende Juli vergeben wolle, bezeichnete er als "wesentlichen Beitrag" zur Fortführung eines sinnvollen Dialogs.

OB Wolfgang Schuster lobte - im Gegensatz zu Rülke - Geißlers Rolle in dem Prozess: "Ich bin dankbar, dass er die verhärteten Fronten wieder entspannt, die Diskussion wieder auf eine Ebene der Sachlichkeit geführt hat." Für ihn sei nicht die Frage nach einem konkreten Termin im Juli entscheidend, sondern eine "objektive und verlässliche Aussage über die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs". Schuster betonte, es sei ihm wichtig, dass die Fragen und Einwände der Kritiker des Bahnprojekts bearbeitet würden.

Es geht um zwei Tunnels

Vergabe: Bis Ende des Monats sollen die Bauarbeiten für den Fildertunnel und den Tunnel nach Ober- und Untertürkheim vergeben werden. Technikvorstand Volker Kefer sagte am Freitag, die Investitionssumme für die Teilprojekte liege insgesamt bei 700 bis 750 Millionen Euro. Für die Vergabe gibt es im Rahmen der erfolgten europäischen Ausschreibung feste Bindefristen. Sollten diese nicht eingehalten werden, müsste die Ausschreibung wiederholt werden. Dies würde nach Angaben der Bahn weitere 18 Monate dauern, was den Zeitplan für Stuttgart 21 über den Haufen werfen würde.

Vorgehen: Eigentlich wollte die Bahn die Aufträge für die Tunnelabschnitte spätestens am 15. Juli vergeben. Um nun dem Gutachterbüro SMA etwas mehr Zeit zu geben für ihre Expertise, hat sich der Konzern zu folgendem Vorgehen entschlossen: Trotz des Aufschubs wolle man am 15. Juli "vergabeklar" sein, sagte Volker Kefer. Dies bedeutet, dass am kommenden Freitag der Auftrag zwar noch nicht vergeben wird, allerdings werden die Unternehmen, die an der Ausschreibung teilgenommen haben, aber unterlegen sind, über den Ausgang des Bieterwettbewerbs informiert. Diese haben dann zwei Wochen Zeit, Einspruch gegen die Entscheidung zu erheben. Nach Ablauf dieser zwei Wochen, das heißt am 31. Juli, läuft die Bindefrist für die Auftragsvergabe aber endgültig ab. Wenn die Bahn diesen Termin nicht einhält, macht sie sich juristisch angreifbar.

Baugenehmigung: Der Fildertunnel, der den Hauptbahnhof mit der Filderebene und dem Flughafen verbinden soll, ist mit knapp 9,5 Kilometern der längste Tunnel des Projekts Stuttgart 21 (die Röhren vom Hauptbahnhof zu den Gleisen in Ober- und Untertürkheim messen rund sechs Kilometer). Für den Fildertunnel hat die Bahn seit Sommer 2005 das Baurecht, das der Verwaltungsgerichtshof Mannheim 2007 bestätigt hat. Allerdings hat die DB im Herbst 2010 ein Planänderungsverfahren beim Eisenbahnbundesamt beantragt, weil das Tunnelbohrverfahren geändert werden soll und man nun große Tunnelbohrmaschinen einsetzen will. Volker Kefer rechnet damit, dass der Bahn die ausstehende Genehmigung Anfang 2012 vorliegen wird: "Dass ist deutlich vor dem Beginn der Bauarbeiten", sagte der Technikvorstand. Das Ergänzungsverfahren sei deshalb auch "nicht terminkritisch".