Die S-21-Gegner haben an die Ereignisse im Schlossgarten erinnert. Auf einer zentralen Kundgebung übten sie scharfe Kritik am damaligen Vorgehen der Polizei.

Stuttgart - Ein Jahr danach strömen wieder Schüler in den Park. Doch diesmal rennen sie nicht in den Park, diesmal treffen sie auch nicht auf Polizisten, die gepolsterte Spezialkleidung tragen. Die Jugendlichen folgen zwei Lehrern in den Schlossgarten – die Gruppe bleibt unter einem Ahornbaum stehen. „Ihr wisst, was hier vor einem Jahr passiert ist?“, fragt ein Lehrer. Schnell entspinnt sich eine Diskussion über mögliche Gefahren für die Mineralwasserquellen, das Alter der Bäume und über den Polizeieinsatz, der vor genau einem Jahr an genau diesem Ort aus dem Ruder lief.

 

Im Schlossgarten läuft an diesem ersten Jahrestag des „schwarzen Donnerstags“ eine Gemeinschaftskundestunde der besonderen Art. Einige Schüler fragen nach den Kosten des Projekts Stuttgart 21, auch nach der Rolle der Polizei an jenem Tag. Ihre Lehrer ringen um Antworten, die beiden Seiten gerecht werden. Fast unwirklich friedlich wirkt diese Freiluftschulstunde: Vor einem Jahr duckten sich hier Schüler unter Plastikplanen zusammen, um nicht vom Strahl der Wasserwerfer getroffen zu werden.

Zur Erinnerung an jenen Tag demonstrieren am Abend mehrere Tausend Menschen auf dem Schlossplatz. Bei der zentralen Kundgebung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 findet dessen Sprecherin Brigitte Dahlbender klare Worte: „Das war eine Machtdemonstration. Man wollte mit dem effektvollen und endgültigen Eingreifen den Widerstand zum Erliegen bringen.“ Dahlbender findet es „bewundernswert, dass der Widerstand gegen Stuttgart21 sich davon nicht hat beeindrucken lassen“, und lobt die Friedfertigkeit.

Am 21. November findet die 100. Montagsdemo statt, und wenn man den 20. Juni mit den Ausschreitungen auf dem Baustellengelände des Grundwassermanagements beiseitelasse, sei immer alles friedlich verlaufen. „Dadurch haben sich die Projektgegner als gute Demokraten bewiesen“, sagt Dahlbender. Es gibt auch Beifall für eine Sprecherin der Jugendoffensive gegen Stuttgart 21, die im Gegensatz zu Dahlbender die Stürmung des Grundwassermanagements nicht als Ausreißer, sondern „als Beweis unserer Stärke“ sieht. „Es ist möglich, einen mehrtägigen Baustopp zu erzwingen“, sagt die Jugendliche.

Die Demonstranten ziehen friedlich in den Schlossgarten

Große Zustimmung erhält der ehemalige Richter Dietrich Reicherter, der vom „Bürgertribunal“ berichtet. Am Vorabend hatten Betroffene des „schwarzen Donnerstags“ als Ergebnis dieses Tribunals eine Resolution verfasst, in der unter anderem gefordert wird, die Vorfälle von einer Staatsanwaltschaft außerhalb Stuttgarts untersuchen zu lassen. „In Stuttgart wird es keine Ruhe geben, solange dieser Tag nicht objektiv aufgearbeitet ist“, sagt Reicherter.

Die Demonstranten ziehen friedlich in den Schlossgarten. Fotografen der Initiative Gegenlicht 21 zeigen dort Bilder – sie dokumentieren nicht nur die Geschehnisse des „schwarzen Donnerstags“, sondern auch, wie sich der Park seitdem verändert hat. Die Ausstellung der Fotografen und neben die Bühne projizierte Fotos rufen die Erinnerung an den September 2010 wach.

Auch wenn der Tag besonnen anläuft, Frieden geschlossen haben die Projektgegner noch nicht mit der Polizei und den Ermittlungsbehörden. Ein Zeichen dafür ist ein viel diskutierter Anstecker – den am Freitag aber nur wenige tragen. Er zeigt einen Polizisten im Einsatz, dazu den Schriftzug „Gewaltliebende brutale Schlägercops – Verurteilen und ab in den Knast“. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat dazu festgestellt, dass das Zeigen des unverfremdeten Gesichts des Beamten ohne dessen Einwilligung ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz sei. Die Behörde gibt eine Warnung heraus, als die Buttons auftauchen. „Oft wissen die Leute nicht, wie die rechtliche Lage ist, wenn sie einen Button erwerben“, so die Sprecherin der Behörde. Das Tragen und Verteilen könne strafbar sein.

Die Polizei ist am Freitagabend mit mehr Beamten als beispielsweise bei den Montagsdemos im Einsatz, wie der Sprecher Stefan Keilbach erklärt. Schließlich seien insgesamt drei Kundgebungen angemeldet gewesen. Eine Entwicklung beobachteten die eingesetzten Beamten dabei mit Sorge und Ärger: Das Filmen und Fotografieren von Beamten, so Keilbach, würde allmählich überhandnehmen – offenbar mit dem Ziel, einzelne Polizisten identifizieren zu können. Den Abend beschreibt die Polizei als ruhig und friedlich, auch gibt es keine spontanen Demozüge abseits der genehmigten Strecken, welche die Polizei vor kurzem kritisiert hatte. Mit einem Schweigemarsch beenden die Parkschützer den Gedenktag. Schwarz gekleidet, mit blass geschminkten Gesichtern und Kerzen in der Hand ziehen sie vom Park zum Finanzministerium.