Stuttgart 21 Tiefbahnhof kostet 372 Millionen mehr

Am 16. Dezember hat die Bahn die 13. von insgesamt 28 Kelchstützen gegossen, die das Dach des neuen Tiefbahnhofs bilden werden. Foto: DB AG/Bahnprojekt Stuttgart-Ulm

Im Jahr 2020 hat die Bahn beim Projekt Stuttgart 21 deutliche Fortschritte gemacht. Beim Tiefbahnhof ist jetzt eine enorme Kostenerhöhung für den Rohbau bekannt.

Stuttgart - Die Deutsche Bahn AG hat 2020 beim Bau des Projekts Stuttgart 21 Fortschritte gemacht. 97 Prozent der Tunnel im Talkessel sind inzwischen gegraben, erste Teile aus dem Gesamtprojekt wie der neue Nesenbach-Abwasserkanal und der SSB-Halt Staatsgalerie für die Stadtbahn konnten in Betrieb genommen und das Förderband am Gebhard-Müller-Platz abgebaut werden. Auch beim Tunnel nach Feuerbach, von dem Teile in kritischem, weil quellfähigem Gestein liegen, konnte mehr als 80 Prozent der Tunnelschale betoniert werden.

 

Inzwischen hat das Staatsunternehmen auch offenbart, was der Rohbau des neuen Tiefbahnhofs voraussichtlich kosten wird. Die Kostensteigerung gegenüber der Auftragsvergabe an die Ed. Züblin AG im März 2012 liegt bei erheblichen 114 Prozent.

Baustelle bleibt Herausforderung

„Als Stuttgarter Traditionsunternehmen sind wir sehr stolz, dass wir an diesem international richtungsweisenden und für die Entwicklung der Region immens wichtigen Infrastrukturvorhaben maßgeblich mitwirken dürfen“, hatte der damalige Züblin-Vorstand Klaus Pöllath gesagt. Inzwischen gab es mehr als 650 Änderungen zu den ursprünglich vereinbarten Arbeiten für den Tiefbahnhof und die auf beiden Seiten vorgelagerten Weichenfelder.

Planung und Bau sind für die Ingenieure nach wie vor eine Herausforderung. Über die S-Bahn, die die neue Bahnsteighalle unterquert, muss zum Beispiel eine Spannbetonbrücke gebaut werden, darauf kommen Gleise und Bahnsteige. Allein für die 13. der insgesamt 28 Kelchstützen mussten 33 000 Stahlstreben von Hand als Bewehrung eingebaut werden. Diese Stütze mit 32 Meter Durchmesser wurde am 16. Dezember betoniert. Im Dezember wurde bekannt, dass im Bauabschnitt 23 – er liegt an der Willy-Brandt-Straße – die Statik der Hallendecke Probleme bereiten könnte. Um eine zu große Durchbiegung zu verhindern, die die zulässige Verformung der Oberleitung überschritten hätte, musste für 120 000 Euro nachgebessert werden.

Züblin setzt sich durch

Erst im Zuge der Ausführungsplanung seien die Eigenschaften des Baugrundes und die „Besonderheiten in der Konstruktion“ (der Tiefbahnhof erhält zum Beispiel ein fugenloses Dach) vollständig erkennbar gewesen, heißt es zur Änderung des Rohbauvertrags. Das sei „nicht Bestandteil der ursprünglichen Vergabeunterlagen“ gewesen. Der 2012 geschlossene Vertrag sei „gesamthaft an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen“. Den „unerwartet aufgetretenen Umständen“ habe „im Wege der zivilrechtlich beanspruchbaren Vertragsanpassung adäquat kooperativ entgegengesteuert“ werden können. Das hat seinen Preis.

Die Kosten für den Rohbau des Tiefbahnhofs, ursprünglich 323,4 Millionen Euro, war über Jahre mit jeder Veränderung am Bauwerk fortgeschrieben worden. Nun haben Züblin und die Bahn einen dicken Strich gezogen und sich auf 695 Millionen Euro geeinigt, ein Aufschlag von rund 372 Millionen.

Pofalla bleibt bei Kosten- und Zeitziel

Hinzu kommen die Kosten für Gleise, Oberleitung und Einbauten, also die Bahntechnik samt Digitalisierung. Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla hat dazu Mitte Dezember einen Auftrag in Höhe von rund 127 Millionen Euro an die Firma Thales in Ditzingen vergeben. Dabei geht es um das digitale Stellwerk und die Zugbeeinflussung auf der Strecke. Rund 100 Kilometer sollen mit digitaler Technik gesteuert werden. Die Ausrüstung in der Landeshauptstadt zählt bei der Bahn als Pilotvorhaben.

Pofalla hat auch bekräftigt, dass die vom DB-Aufsichtsrat freigegebenen 8,2 Milliarden Euro für S 21 ausreichen und die ersten Züge im Dezember 2025 fahren sollen. Auch wenn 2020 viele Tunnel durchschlagen, die alte Bahndirektion zwischen Jäger- und Heilbronner Straße wieder auf festen Grund gestellt und die Arbeiten für den Flughafenanschluss der ICE-Strecke nach juristischer Hängepartie begonnen werden konnten: Der S-21-Projektgesellschaft bleibt der Wettlauf gegen Zeit und Kosten erhalten.

Was wird aus der Gäubahn?

Zwischen den Sitzungen des S-21-Lenkungskreises im April und Oktober hat die Bahn Termine überarbeitet. In diversen Abschnitten sollen Rohbau und Ausbau nun parallel laufen, so im Tiefbahnhof, den Tunneln nach Feuerbach und Untertürkheim und am Flughafen. Den Zeitraum für den Versuchs- und Vorlaufbetrieb hat die Bahn gekürzt, dafür sind noch rund 14 statt 24 Monate vorgesehen. Die Tiefbahnhof-Baustelle bleibt mit einer roten Linie versehen, der Abschnitt gilt weiter als „kritischer Pfad“ für das Gesamtprojekt.

Fragezeichen stehen hinter dem Baubeginn für den Abstellbahnhof in Untertürkheim und der Gäubahn-Anbindung. In Untertürkheim sollen geschützte Eidechsen nicht umgesiedelt, sondern durch den Bau verdrängt werden. Womöglich gibt es dagegen Klagen, die wieder aufhalten. Zur Führung der Gäubahn an den Flughafen, die über die S-Bahngleise geschehen soll, existiert ein neuer Vorschlag aus den Untersuchungen zum angestrebten Deutschlandtakt. Die Züge aus Zürich könnten den Airport von Rohr aus in einem neuen langen Tunnel erreichen, den Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) propagiert. Damit würde der Umbau der S-Bahngleise und ein zusätzliches Gleis für die Gäubahnzüge am Airport obsolet. Für den Tunnel fehlt aber noch die Wirtschaftlichkeitsberechnung.

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