Noch knapp drei Wochen bis zur Bundestagswahl: Vor allem die Grünen und die Linke buhlen um die Gunst der Stuttgart-21-Gegner. CDU und SPD sprechen das Thema Tiefbahnhof im Wahlkampf nicht von sich aus an.

Stuttgart - Anton Hofreiter gibt alles. Er wettert gegen die Manager der Bahn AG, denen des kurzfristigen Profits wegen ausländische Beteiligungen mehr am Herzen lägen als der Schienenverkehr im Land, er poltert gegen das „totale Quatschprojekt Stuttgart 21“, das nur deshalb weiterverfolgt werde, weil das CDU-geführte Kanzleramt aus parteistrategischen Gründen weiter Streit in der grün-roten Landesregierung schüren wolle, er redet sich in Rage, als ihm unterstellt wird, den Politikern gehe es nur um die Macht: „Ich hab eine bildhübsche Freundin, mit der wäre ich gern öfter zusammen. Aber ich reiße die 80-Stunden-Woche runter, weil ich was ändern will.“

 

Das mächtige Mannsbild aus Oberbayern, das dem Verkehrsausschuss des Bundestags vorsitzt, gibt den Konstantin Wecker der Politik, und seine aufklärerischen Reden münden im Gewerkschaftshaus in den Refrain, grün zu wählen, wenn man gegen S 21 sei. Hofreiter ist am Freitagabend der beste Wahlhelfer, den sich der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir denken kann, der dem CDU-Mann Stefan Kaufmann das Direktmandat im südlichen Wahlkreis abjagen will.

Die Grünen sind für viele S-21-Gegner „Lügenpack“

Nimmt man die zurückliegenden Erfolge der Grünen bei den Gemeinderats-, Landtags- und OB-Wahlen zum Maßstab, dann sind bei dem Kopf-an-Kopf-Rennen dazu die Stimmen der S-21-Gegner nötig, die die Mehrheit im Gewerkschaftssaal ausmachen und die auf den Montagsdemos mit Lügenpack-Rufen auch den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann meinen, dem sie vorwerfen, nichts zu tun für einen Projektstopp.

„Vom Landesvater zum Herrenknecht“ steht auf einem Transparent im Saal, das auf den Namen des Inhabers der Firma anspielt, die die Tunnelvortriebsmaschine baut und die der Regierungschef besuchte. Die Skepsis der Aktivistenbasis ist spürbar, auch wenn Özdemir sich klar gegen S 21 und für einen modernisierten Kopfbahnhof ausspricht und dem Eindruck entgegentritt, dass die Grünen das Bahnhofsprojekt unter ferner liefen abhandelten. Nicht vergessen ist der grünen-interne Zoff, wie stark S 21 im Wahlkampf gespielt wird – eher mehr, meinten die im Bund, eher weniger, die im Land.

CDU und SPD lassen Stuttgart 21 unerwähnt

„Damit können wir nichts gewinnen“, sagen ganz offen die Strategen der CDU, ihr Kandidat Kaufmann lässt S 21 links liegen. Und auch die SPD hat nichts dagegen, wenn das Thema unerwähnt bleibt. „Wir flüchten nicht davor“, sagt die Bewerberin Ute Vogt „aber wir sprechen es auch von uns aus nicht an“. Ob sie so aus dem Stimmenkeller kommt, ist ungewiss – zumal Özdemir nichts gegen ein in der SPD diskutiertes Angebot über eine Erststimmen-Absprache in den Wahlkreisen hätte. „Das hat schon bei den OB-Wahlen in Stuttgart und Karlsruhe geklappt, das können wir gerne wiederholen“, sagt er.

Den von Grün enttäuschten S-21-Gegnern bieten sich auch die Linke und die Kandidaten der Anwohner-Netzwerke an. „Die etablierten Parteien CDU, SPD und Grüne haben das Thema vollkommen aus dem Wahlkampf heraushalten wollen“, sagt der Netzwerke-Bewerber Frank Schweizer, der in Özdemirs und Kaufmanns Wahlkreis antritt. Auch die Linke setzt in Stuttgart auf S 21. Sie ist die einzige Partei, die dazu Plakate macht („S 21 stoppen statt Bahnchaos“, „S 21 stoppen statt weiterärgern“), jetzt zieht sie mit einem Faltblatt („Stuttgart 21 – 100 % asozial“) in die heiße Phase des Wahlkampfs. „Die Grünen trauen sich nicht, das Projekt zu stoppen“, kritisieren die Kandidatinnen Marta Aparicio und Christina Frank, „vielleicht gibt es dazu auch mal einen Untersuchungsausschuss wie heute gegen Mappus“. Und auch der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger zählt S 21 zu den Themen, bei denen „Grün-Rot etwas versprochen und gebrochen hat“. Der Protest gegen das Projekt hänge eng mit den Erfolgen der Grünen zusammen. „Sie haben plakatiert, nicht zu bauen, und nun wird gebaut“, wettert Riexinger am Freitag wenige Stunden vor Hofreiters Auftritt, der für die Grünen „nicht viel retten“ werde.

Wer gegen S 21 sei, habe keine andere Option als seine Partei, meint Riexinger, auch wenn er weiß: „Die Halbhöhenlage hat vor vier Jahren noch CDU gewählt, vor zwei Jahren die Grünen und jetzt die Linke – das ist schon ein weiter Weg.“