Mit dem Theater um den Flughafenbahnhof beim Projekt Stuttgart 21 hat die Deutsche Bahn weiteres Vertrauen verspielt – und ihre Projektpartner getroffen, kritisiert Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Was am Dienstag geschah, ist selbst in der an Kuriositäten und Ärgernissen reichen Geschichte von Stuttgart 21 ein beispielloser Vorgang. Am Mittag verkündet Georg Brunnhuber, dass die Pläne der Bahn, künftig keinen einzigen ICE am neuen Flughafenbahnhof auf den Fildern halten zu lassen, „eine nicht nachvollziehbare Abkehr von allen bisher getroffenen Aus- und Zusagen“ sei. Georg Brunnhuber? Ja, wirklich: Der Satz stammt von jenem Mann, der seit Anbeginn aller S-21-Visionen ein strammer Kämpfer für das Projekt war – zuerst als CDU-Bundestagsabgeordneter, später als Cheflobbyist der Bahn, seit 2015 als Vorsitzender des Vereins Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Wenn sich ein alter Kämpe so offen gegen die eigenen Leute stellt, muss etwas wirklich Unerhörtes geschehen sein.

 

Am Abend versucht die Bahn, per Pressemitteilung einen Rettungsanker zu werfen. Selbstverständlich stünde sie „zu ihren Zusagen für die Anbindung des Stuttgarter Flughafens an das Fernverkehrsnetz“, hieß es darin. Aussagen „zur konkreten Ausgestaltung des Zugangebots“ könnten jedoch frühestens zwei Jahre vor der Inbetriebnahme getroffen werden. Doch was heißt das nun konkret?

Sehen Sie im Video: Das sagen Stuttgarter zu den S21-Bahnplänen am Flughafen:

Argument für Stuttgart 21

Zunächst einmal nur, dass die Vorstände in Berlin erkannt haben, wie hart sie ausgerechnet ihre Projektpartner und -befürworter in Stuttgart getroffen haben. Denn die Nachricht, dass am Flughafen kein einziger ICE halten wird, führte eines der wichtigsten Argumente für das Projekt ad absurdum. In der Hochphase des S-21-Streits bis zur Volksabstimmung 2011 waren es vor allem drei Punkte, welche die Befürworter ins Feld führten: die einzigartige städtebauliche Chance für Stuttgart, mitten in der City ein neues Quartier bauen zu können, die bessere verkehrliche Anbindung nach Ulm und München, die durch die Neubaustrecke gewährleistet sei, und den zusätzlichen Fernzughalt am Flughafen. „Eine neue Verkehrsdrehscheibe“ entstünde auf den Fildern, frohlockte die Pro-Fraktion seinerzeit im festen Glauben darauf, dass die Bahn mit modernsten Zügen anrückt, um den Stuttgarter Airport groß zu machen. Doch das Einzige, was jetzt kreist, sind die Köpfe derer, die zum Beginn des neuen Jahres von der Bahn mit deren Manövern überrascht wurden.

Unabhängig davon, ob die 100 Fernverkehrszüge, die bisher unterstellt wurden, realistisch sind oder nicht, bleibt ein ungeheurer Vertrauensverlust. Der Wirbel um die Frage, wie ernsthaft ein Fernbahnhof am Flughafen betrieben wird, hat eine andere, noch schlimmere Qualität als die bisher empfangenen Hiobsbotschaften von Zeitverzögerungen und Mehrkosten. Beim Bau des Tiefbahnhofs und der Neubaustrecke handelt es sich um infrastrukturelle Aufgaben. Bei den dabei aufgetretenen Pannen musste die Bahn nicht nur eigene Fehler eingestehen, sondern konnte ihre Schwierigkeiten auch auf hohe Stahlpreise, unvorhergesehene Gesteinsformationen, seltene Eidechsen oder behördlichen Schwergang schieben.

Ende des Airport-Bahnhofs?

Bei der Frage, wie viele Fernzüge den Flughafenbahnhof künftig anfahren, liegt die Sache anders. Dort geht es um ein Betriebskonzept, das in der Hoheit der Bahn entsteht. Sie entscheidet, ob sie einen ICE einsetzt oder lieber eine Dampflok reaktiviert, um ihre Fernverkehrskunden ans Terminal auf den Fildern zu bringen. Das Streichen des ICE-Halts wäre also ein von der Bahn bewusst begangener Affront gegen die Projektpartner von Stuttgart 21.

Ob sie damit auch das Ende des Airport-Bahnhofs an sich einläuten wollte, weil es günstiger sein könnte, dem Flughafen seinen S-21-Finanzierungsanteil von 359 Millionen Euro zurückzuzahlen als einen bis zu einer Milliarde teuren Fernbahnhof auf den Fildern zu bauen, kann im Moment nicht seriös beantwortet werden. Gewiss ist allerdings, was die Bahn dringender braucht denn je: Kontrolle. Hier ist die Bundesregierung gefragt.