Anwälte haben das Vorgehen der Bahn beim Projekt Stuttgart 21 gegenüber den Eigentümern beklagt und fordern Hilfe der Politik. Mehr als 500 Grundstücks- und Wohnungseigentümer, die von den Tunnelbauten quer durch Stuttgart betroffen sind, hörten den Experten zu.

Stuttgart - Gestattungsvertrag, Beweislastumkehr, subjektive Wertminderung – ohne juristische Fachbegriffe ging es nicht auf der Informationsveranstaltung der grünen Gemeinderatsfraktion und der Anwohnernetzwerke am Freitagabend im Rathaus. Dennoch hörten mehr als 500 Grundstücks- und Wohnungseigentümer, die von den S-21-Tunnelbauten quer durch Stuttgart betroffen sind, mehr als zwei Stunden aufmerksam den projektkritischen Experten zu. Und zum Schluss war, zumindest nach den Worten von zwei Anwälten, zweierlei klar. Erstens: die Bahn kämpft mit harten Bandagen. Und zweitens: falls die S-21-Projektpartner Land und Stadt intern bei der Bahn nicht mehr Rechte für die Eigentümer durchsetzen können, müssen sich die Betroffenen, die die Bedingungen der Bahn nicht akzeptieren wollen, auf einen harten juristischen Weg einstellen.

 

Die hohe Zahl und das große Interesse der Zuhörer waren am Freitagabend auch ein Beweis dafür, wie verunsichert sie ob der jüngsten Meldungen über Senkungen im Gebäude der Landeswasserversorgung im Kernerviertel und den von der Bahn gewünschten Abriss eines IHK-Bürohauses in der Jägerstraße sind. Und sie belegen, dass die Information und Kommunikation der Bahn mit den Eigentümern bisher völlig unzureichend ist, was zuletzt selbst ein Geschäftsführer der neuen Projekt-GmbH einräumte. Ob sich an der bisher beinharten Verhandlungsführung der Bahn aber etwas ändern wird, sehen zumindest die Juristen skeptisch. „Wenn Sie mit der Bahn verhandeln, ist dies das Bohren ganz dicker Bretter“, sagte der Anwalt Armin Wirsing, der einige Betroffene vertritt.

Mehrere Redner sehen die S-21-Projektpartner Land und Stadt deshalb in der Pflicht, sich für die Eigentümer und deren Rechte einzusetzen. „Wir brauchen diese Unterstützung, wenn es um Fragen der Entschädigung und der Haftung für mögliche Gebäudeschäden geht“, forderten Wirsing und der Rechtsanwalt Klaus Lebsanft ein größeres Engagement der Politik.

Eigentümer fühlen sich offenbar allein gelassen

„Unsere Besorgnis wird durch die jüngsten Entwicklungen immer größer“, sagte Uwe Dreiss vom Netzwerk Kernerviertel. Die Eigentümer fühlten sich allein gelassen. In vielen Fragen befänden sie sich „auf hoch komplizierten juristischem Neuland“. Diese Sorgen um Haus oder Wohnung werden nach den zwei Stunden nicht geringer geworden sein. So stellte Markus Laiblin, Sachverständiger für Grundstücksbewertung das Modell vor, nach dem die Bahn die Entschädigung berechnet, damit ihr im Grundbuch ein Unterfahrungsrecht für die Tunnel eingeräumt wird.

Bisher bewährte und richterlich nicht beanstandete Verfahren orientierten sich am Bodenwert, der ein Grundstück mit seinen Eigenarten wie beispielsweise Lage und Ausblick einschätze. Die Bahn benutze aber ein Modell, das den Bodenrichtwert zum Maßstab nehme, der für ein gesamtes Gebiet als durchschnittliche Größe ermittelt werde. Diese Unterscheidung spielt bereits beim noch laufenden Entschädigungsstreit für das Gebäude der Landeswasserversorgung eine Rolle. Laut Laiblin können Eigentümer nach dem Bodenwertverfahren eine bis zu einem Drittel höhere Entschädigung erwarten. Allerdings, so seine Vermutung, wolle sich die Bahn den „wahnsinnigen Aufwand einer individuellen Bewertung ersparen“, immerhin sind bei Stuttgart 21 insgesamt rund 6000, allein in Stuttgart mehr als 3000 Grundstücke betroffen. Deshalb habe sie „ein wesentlich einfacheres Entschädigungsverfahren“ gewählt. Wenn er aber als Gerichtsgutachter so vorgehen würde, „würde mir das als grober Verstoß ausgelegt“, sagte Laiblin.

Ein Rechtsanwalt findet deutliche Worte

Noch deutlicher wurde der Rechtsanwalt Klaus Lebsanft. Er sprach von einem willkürlichen Berechnungsverfahren, das nur das Ziel habe, „die Entschädigung herunter zu rechnen.“ Auf Grundlage der geltenden Planfeststellungsbeschlüsse könnten sich die Eigentümer kaum gegen die sogenannte Besitzeinweisung wehren, die der Bahn erlaubt, die Bohrarbeiten fortzusetzen, auch wenn die Entschädigung noch nicht geklärt sei. Lebsanft und Wirsing betonten, dass die Bahn und die SSB in den Verträgen die Beweislast für Bauschäden durch den Tunnelbau beim Hauseigentümer sieht – dies sei auch gesetzlich gedeckt. Dabei gehe die SSB sensibler vor als die Bahn, so Wirsing, „es ist unglaublich, was in deren Vertragsentwürfen den Eigentümern zugemutet wird“. Offenbar drängten auch die Haftpflichtversicherungen von Bahn und SSB auf rigide Regelungen.

Lebsanft und Wirsing forderten eine Beweislastumkehr, also dass die Bahn nachweisen muss, dass Schäden nicht von Stuttgart-21-Arbeiten stammen. Zumindest aber müssten bürgerfreundlichere Regelungen, etwa für Beweissicherung und die Erstellung von und Einsichtnahme in Gutachten, gefunden werden. „Das ist auch eine Frage des Anstands“, sagte Wirsing an die Adresse der Bahn. Dieser Satz wurde mit höhnischem Gelächter quittiert. Und Lebsanft meinte: „Ich muss nicht jedes Recht, das ich habe, auch ausüben“. Das könne ein Oberbürgermeister, ein Ministerpräsident und ein Finanzminister der Bahn auch einmal deutlich sagen. Dafür gab es Applaus.