Eine Expertise besagt, dass das Land im Fall eines Projektendes von Stuttgart 21 nur 350 Millionen Euro Entschädigung an die Bahn zahlen müsste.

Stuttgart - Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hält einen Ausstieg aus Stuttgart 21 zu vertretbaren Kosten für möglich. Die möglichen Ersatzansprüche gegen das Land belaufen sich laut einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Märkische Revision auf rund 350 Millionen Euro. Die Bahn und die Projektbefürworter in der Landesregierung geben die Ausstiegskosten dagegen mit 1,5 Milliarden Euro an. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel reagierte verärgert und warf dem Minister vor, seine Rechenkünste erinnerten "stark an die Bilanz einer Schrottbank, die Plus und Minus verwechselt hat".

 

"Lieber ein Ende mit überschaubaren Kosten als Kosten ohne Ende." Das ist das Kredo von Hermann, der den Ausbau des bestehenden Kopfbahnhofs favorisiert. Er wirft der Bahn vor, sie könne den selbst festgelegten Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro für den geplanten Tiefbahnhof nebst seiner Anschlüsse an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm nie und nimmer einhalten. Zumindest was die Schadenersatzansprüche der Bahn sowie der Projektpartner Stadt und Region nach einem möglichen Aus für Stuttgart 21 angeht, hat der Minister jetzt eine Expertise vorliegen, die seine Auffassung stützt.

Institut hält Ansprüche für viel zu hoch

Die Märkische Revision - eines von drei Instituten, die während der Schlichtungsgespräche schon einmal die Kosten bei einem eventuellen Projektausstieg beziffert haben - hält die von der Bahn formulierten Ansprüche für viel zu hoch. So entstehe dem Konzern etwa bei der Rückabwicklung des Grundstücksgeschäfts mit der Stadt keine Vermögensminderung, sagt der Geschäftsführer des Unternehmens, Hans-Henning Schäfer. Die Rückzahlung des Zuschusses des Flughafens in Höhe von 115 Millionen Euro sei ebenso wenig entschädigungsfähig wie die von der Bahn eingerechneten Planungskosten für die ICE-Trasse nach Ulm (194 Millionen Euro), da es sich um getrennte Projekte handele.

Auch die von Bahn-Technikvorstand Volker Kefer geltend gemachten geringeren Ertragschancen bei der Grundstücksvermarktung auf dem A-1-Areal am Bahnhof seien abzuziehen. Gleiches gelte für die sogenannten historischen Planungskosten von 192 Millionen Euro. Die hat die Bahn zwar nicht in die Finanzierungsvereinbarung hineingerechnet, würde sie aber bei einem Projektende gern wiederhaben. In der Schlichtung war die von den Gegnern vorgeschlagene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf einen Wert von 453 Millionen Euro gekommen, weil sie diese Kosten einkalkuliert hatte.

Ist-Kosten betragen 174 Millionen Euro

Als ersatzpflichtige Ansprüche klassifizierte die Märkische Revision jene Beträge, die Bahn und Projektpartner schon im Vertrauen darauf, dass Stuttgart 21 realisiert wird, auch tatsächlich ausgegeben haben. Die sogenannten Ist-Kosten, die seit dem "memorandum of understanding" 2007 bis Mitte 2011 angefallen sind, betragen laut Märkischer Revision 174 Millionen Euro. Hinzu kommen Vergabe- und Planungskosten sowie Kosten von rund fünf Prozent des Auftragsvolumens aus laufenden Ausschreibungsverfahren - insgesamt 129 Millionen Euro. Einschließlich eines Risikozuschlags von 37 Millionen Euro, der eingerechnet wird, weil man laut Schäfer nicht alle Verträge zwischen der Bahn und ihren Auftragnehmern kenne, kommt die Prüfer auf eine maximale Entschädigungssumme von 350 Millionen Euro.

"Das Gutachten trägt hoffentlich dazu bei, die Debatte über die Folgen eines Ausstiegs des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21 zu versachlichen", erklärte Verkehrsminister Hermann. Da hatte allerdings sein Konterpart, der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel, bereits seine mathematischen Fähigkeiten in Zweifel gezogen. Schmiedels Vergleich mit der Bilanzaffäre um die sogenannte Bad Bank Hypo Real Estate (HRE) wird in Grünen-Koalitionskreisen mit einer gewissen Häme registriert. Denn ausgerechnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers, die Ende 2010 der Bahn attestiert hatte, die von ihr mit 1,5 Milliarden Euro angegebenen Ausstiegskosten seien "plausibel", hat auch bei der HRE in die Bücher geschaut - und den 55 Milliarden schweren Rechenfehler übersehen.

Die Gutachten der Wirtschaftsprüfer

Pricewaterhouse-Coopers: Die Prüfer von PwC kamen zu dem Schluss, man sehe bezüglich der von der Bahn berechneten Ausstiegskosten von 1,522 Milliarden Euro „keine Hinweise, dass diese dem Grunde nach und der Höhe nach nicht plausibel“ seien.

Susat und Partner: Das Institut hatte Ausstiegskosten von 1,074 Milliarden Euro veranschlagt. Die Differenz zur Bahn ergab sich unter anderem aus der Nichtanerkennung von Planungskosten für die Neubaustrecke und der Rückzahlung des Flughafenzuschusses.

Märkische Revision: Das von den Projektgegnern vorgeschlagene Prüfinstitut hatte ursprünglich Kosten von 453 Millionen Euro errechnet. In der aktuellen Expertise wurden unter anderem die „historischen“ Planungskosten von 192 Millionen Euro herausgerechnet.