Die alte Regierung hat wegen Stuttgart 21 die Zuschüsse für Kommunen gekürzt. Schon seit 2004 haben diese Einfluss auf diverse Projekte.

Stuttgart - Die Botschaft von Stuttgart-21-Befürwortern ist unmissverständlich: Die Tieferlegung des Hauptbahnhofs bringt Vorteile für die meisten Kommunen im Land; es könne keine Rede davon sein, dass andere Infrastrukturmaßnahmen deshalb gestrichen werden müssten. Keine Spur von "Staubsaugereffekt" oder "Kannibalisierung", betonen S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich und der Bahn-Vorstandschef Rüdiger Grube. Dies wird jetzt aber in Zweifel gezogen. Nach StZ-Informationen hat bereits 2003 die CDU/FDP-Landesregierung, um finanzielle Vorsorge für Stuttgart 21 zu treffen, Entscheidungen getroffen, die sich negativ auf investitionswillige Kommunen auswirken.

 

Der damalige Verkehrsminister Ulrich Müller (CDU) hatte die unverzügliche Bildung einer S-21-Finanzreserve für erforderlich gehalten. Seine Mitarbeiter mussten daraufhin alle Ausgabenpositionen unter die Lupe nehmen. Dabei kam man zum Schluss, dass die Förderbedingungen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG), das die Unterstützung der Kommunen beispielsweise beim Bau von Umgehungsstraßen, Schienenkreuzungen, Park-and-ride-Plätzen oder Omnibusdepots regelt, rasch angepasst werden müssten - bedauerlicherweise, aber konsequent: nach unten.

Seit 2004 Solizahlungen

Anders als der damalige Staatssekretär Stefan Mappus (CDU) 2007 in der Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Boris Palmer (Grüne) behauptete, war diese Kürzung beileibe nicht nur den nötigen Einsparungen für die Haushaltskonsolidierung geschuldet. Ein Protokoll aus dem seinerzeit noch CDU-geführten Verkehrsministerium macht ausdrücklich auch den "Finanzbedarf für Stuttgart 21" dafür verantwortlich. "Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagte am Mittwoch das geschäftsführende Vorstandsmitglied des baden-württembergischen Städtetags, Stefan Gläser, der wie der Gemeindetag und die Kammern das Milliardenprojekt für einen Segen hält und die Befürwortertrommel rührt.

Die Botschaft für die Kommunen, die allesamt an dem viel zu gering gefüllten Zuschusstropf hängen, war simpel: Sie müssen seit 2004 eine Art Stuttgart-21-Soli bezahlen, denn statt 85 Prozent Zuschuss aus den Bundes- und Landesprogrammen gibt es seit 2004 für wichtige Infrastrukturmaßnahmen (ohne Planungskosten) nur noch 75 Prozent. 

Projekte von Kommunen werden abgesagt oder vertagt

Außerdem wurde ein Selbstbehalt im Landesprogramm (aus dem die günstigeren Maßnahmen finanziert werden) von 100.000 Euro eingeführt, was "faktisch zur Abschaffung der Förderung vieler dezentraler Maßnahmen im öffentlichen Nahverkehr - beispielsweise neuer Haltepunkte - führen wird", wie Palmer in seiner damaligen Anfrage kritisierte. Die Konsequenz aus der Quotensenkung: Projekte müssen abgesagt werden, weil sich die Kommunen den höhereren Eigenanteil nicht leisten können, oder werden teurer, weil die Kreditaufnahme steigt. Im besten Fall werden die Projekte erst später realisiert.

 "Stuttgart 21 verzögert keine anderen Verkehrsprojekte", betont Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Lediglich 15 Prozent der Nahverkehrsmittel seien für S21 reserviert, das seien 286 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren. Was er nicht sagt: damit ist ein wesentlicher Teil der bisher freien Mittel gebunden. Der große Rest muss für die Finanzierung des Regionalverkehrs herhalten. Ex-Minister Müller bewertete die Konsequenzen des Vorschlags damals nach einem Gespräch mit der Bahn wie folgt: "Im Hinblick auf Stuttgart 21" werde das Land "nicht nur einen Großteil der Nahverkehrsmittel auf S21 konzentrieren, sondern auch andere Projekte deswegen zeitlich deutlich nach hinten verschieben müssen".

Müller sagte gestern, er könne sich an den Vorgang von vor acht Jahren nicht erinnern, damals habe man sich noch in intensiven Verhandlungen mit der Bahn befunden. Womöglich herrschten heute ganz andere Rahmenbedingungen. Auch er verweist auf die lediglich 286 Millionen Euro, die für S21 in den nächsten zehn Jahren aus Regionalisierungsmitteln aufgewendet werden müssten. Dies sei weniger, als die Region Stuttgart lange Zeit für den Nahverkehr erhalten habe.