Auch städtische und landeseigene Gebäude sind vom Baulärm von Stuttgart 21 betroffen – geschützt aber noch nicht. Skurril wirkt der Fall eines Gebäudes an der Willy-Brandt-Straße. Über das Verfahren haben Bahn und Land 2003 eine Vereinbarung getroffen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - An der Ecke Willy-Brandt-/Sängerstraße bereitet die Bahn derzeit den Bau einer Grube vor. Dazu muss unter anderem der Zugang zur Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie verlegt werden. An der selben Straßenecke stehen allerdings auch zwei Gebäude im Besitz des Landes, deren Bewohner und Nutzer dem Baustellenlärm ausgesetzt sind. Die Frage nach dem Lärmschutz für seine Gebäude Willy-Brandt-Straße 18 und 20 bringt das Land in Erklärungsnot.

 

Dabei ist Sache eigentlich geregelt. „Die DB Netz AG verpflichtet sich, in den Gebäuden spätestens nach Vergabe der Baumaßnahmen für das Eisenbahnprojekt die erforderlichen Schallschutzfenster einzubauen“, heißt es in einer am 4. April 2003 zwischen Bahn und Land geschlossenen Vereinbarung. Während private Hausbesitzer den Einbau der Lärmschutzfenster selbst beauftragen und die Kosten dafür bei der Bahn geltend machen müssen, ist das Land von dieser Last befreit. Die Bahn kümmert sich selbst darum – allerdings bestreitet die Bahn diese Lesart.

Schwierige Kommunikation zwischen Bahn und Land

Man habe sich „zeitnah und rechtzeitig“ an das Land gewandt, erklärt ein Sprecher des Kommunikationsbüros für Stuttgart 21. Im November 2013 sei dies geschehen. Das nächste Lebenszeichen vom Land in Sachen Lärmschutz habe es daraufhin im August 2015 gegeben. Das Ergebnis dieses Kommunikationsproblems: Bis heute ist in den Gebäuden, in denen unter anderem fünf Wohnungen vermietet sind, kein Lärmschutz eingebaut worden. Den Grund dafür wollte der Rechtsanwalt Bernhard Ludwig in Erfahrung bringen, der viele betroffene Eigentümer aus dem Kernerviertel vertritt. Das Land erklärte allerdings Ende Juni, dass man nicht wisse, ob die sich direkt neben einer S-21-Baugrube befindlichen Gebäude überhaupt Anspruch auf Lärmschutz hätten. Die Lärmbelastung werde von der Bahn ermittelt. „Ergebnisse, Protokolle, Gutachten oder sonstige Unterlagen hierzu liegen weder dem Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg noch dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg vor“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums.

Zahlen zur Lärmbelastung liegen seit Dezember 2014 vor

Das von Dezember 2014 datierende Detailgutachten des S-21-Immissionsschutzbeauftragten für die innerstädtischen Baustellen, das die Bahn im Internet veröffentlicht, weist für das Gebäude Willy-Brandt-Straße 18 allerdings deutliche Überschreitungen der Lärmgrenzwerte auf – und das nicht nur durch die Baustelle direkt vor der Haustüre, sondern auch für jene an der ehemaligen Röhre. Dort baut die Bahn bereits seit März 2014.

Auf abermalige Nachfrage des Rechtsanwalts erklärte das Ministerium Anfang August, dass „ein Schriftverkehr mit der DB Netz AG bzw. deren Tochtergesellschaften zu Maßnahmen des passiven Lärmschutzes an den landeseigenen Gebäuden Willy-Brandt-Straße 18 und 20 in Stuttgart nicht vorliegt“. Immerhin scheint man nun ein bisschen weiter gekommen zu sein. Gegenüber der StZ erklärt das Finanzministerium, dass im Kernerviertel „Maßnahmen zum Lärmschutz ergriffen“ werden. „Daraufhin soll die Lärmbelastung untersucht und es soll festgestellt werden, für welche Objekte Anspruch auf Schallschutz besteht.“ Bis Jahresende will die Bahn eine bis zu zehn Meter hohe Lärmschutzwand längs der Sängerstraße aufgestellt haben.

Stadt ermittelt derzeit die Zahl der betroffenen Gebäude

Auch die Stadt besitzt Gebäude, die durch S-21-Baustellenlärm beeinträchtigt werden. Wie viele das genau sind, trägt man im Rathaus derzeit zusammen. Im Mai hatte die Grünen-Stadträtin Clarissa Seitz eine entsprechende Frage gestellt. Oberbürgermeister Fritz Kuhn teilte seiner Parteifreundin Ende Juni mit, dass zur Beantwortung der Anfrage „umfangreiche Recherchen und Gespräche mit der DB erforderlich“ seien. „Daher ist eine Beantwortung erst nach der Sommerpause möglich“. Klar ist, dass die Lärmbelastung für die städtische Flüchtlingsunterkunft an der Nordbahnhofstraße 161 die Grenzwerte deutlich übersteigt. Die Stadt will sich um den Einbau von Schallschutzfenstern selbst kümmern und der Bahn in Rechnung stellen. Der Vorgang sei „derzeit in Bearbeitung“, wie ein Stadtsprecher auf Nachfrage mitteilt.