Stuttgart 21 steht in der Kritik: Die Grünen befürchten nach einer Studie Einschränkungen für Reisende, sie halten den neuen Tiefbahnhof für zu klein und zu eng. Die Bahn hält dagegen.

Stuttgart - Stuttgart 21 befeuert den OB-Wahlkampf stärker als alle anderen Themen: Nach der Diskussionsrunde im Rathaus am Mittwoch (wir berichteten) hat der CDU-Kreischef Stefan Kaufmann die Konkurrenten seines Kandidaten Sebastian Turner scharf angegriffen. Er sei entsetzt, dass die Stuttgart-21-Gegner Probleme mit demokratischen Entscheidungen hätten, und dabei schloss er die SPD-Bewerberin Bettina Wilhelm explizit mit ein. „Antidemokraten sind aber für öffentliche Wahlämter ungeeignet“, so Kaufmann. Dem Grünen-Bewerber Fritz Kuhn warf er vor, die Ergebnisse der Stuttgart-21-Schlichtung zu ignorieren. Dabei sei die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs „transparent diskutiert“ worden. OB-Kandidat Kuhn hatte vorgeschlagen, sicherheitshalber den alten Bahnhof nach der Einweihung der neuen Zugstation noch zwei Jahre weiter zu betreiben.

 

Grüne fordern Stellungnahme der Bahn

Peter Pätzold, der Grünen-Fraktionschef im Rathaus, schlug prompt zurück: Wer „lebendige Demokratie“ verhindern wolle, habe selbst „ein gering ausgeprägtes Demokratieverständnis“. Selbstständiges Denken sei erwünscht, nicht das „Abnicken“ von Entscheidungen. Die Kritik am Projekt sei berechtigt, weil die verkehrliche Leistungsfähigkeit immer noch nicht nachgewiesen sei – umso mehr aber wegen des nun öffentlich gewordenen Gutachtens, das die Bahn 2009 in Auftrag gegeben hat. Diese Personenstromanalyse, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt, stellt nach Ansicht Pätzolds fest, „dass der neue Tiefbahnhof zu eng und zu klein ist für die Bahnreisenden“. Man habe den Bürgern aber versprochen, der neue Bahnhof habe eine höhere Kapazität. In einem Antrag fordert er die Stadt auf, die Bahn um Stellungnahme zu bitten.

Der Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich wies die Vorwürfe zurück. Der Bahnhof werde eine „Vorbildfunktion“ über die Landesgrenzen hinaus haben. Die Aufenthaltsqualität für die Fahrgäste, vor allem für Behinderte, „erfährt deutliche Verbesserungen“, so Dietrich.

Bahn und Kritiker legen Studie unterschiedlich aus

Die Projektkritiker lesen aus der 2009 aktualisierten Personenstromanalyse von Durth Roos Consulting das Gegenteil heraus. Die Anforderung des Bauherrn, „die Bahnhöfe der Zukunft zu einem attraktiven Entree zur Bahnreise zu machen“ werde nicht erfüllt. An den Treppen sowie an den Ein- und Ausgängen werde es morgens und abends vielmehr zugehen wie in der U-Bahn in Tokio. Der Tiefbahnhof erreiche in der Rushhour auf einer Qualitätsskala von eins bis sechs die dritt- oder viertbeste Stufe (C und D). Dies bedeute „eingeschränkt freie Bewegungswahl“ und „deutlich eingeschränkte Bewegungswahl“. Die Grünen sprechen von einem „unzumutbaren Engpass“ – dies auch, weil die Gutachter nur 32 Züge in der simulierten Hauptverkehrsstunde angesetzt hatten. Heute sind es schon 36. Und im Stresstest, der zeigen sollte, wie viele Züge im neuen Bahnhof möglich sind, war gar von 49 die Rede.

„Zweifel sind nicht angebracht“, meint dagegen die Bahn. Durch die Einplanung größerer Aufzüge, einer zusätzlichen Treppe und breiterer Durchgänge sei die Situation seit 2009 entschärft worden. Eine gewisse Dichte sei in Spitzenzeiten zudem normal und akzeptabel. Man dürfe auch nicht von der Analyse, die untersuche, für wie lange es bis zur Einfahrt des nächsten Zugs an Aufgängen Staus gebe, auf die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs insgesamt schließen. Im Gutachten wird zwar ein Zusammenhang zwischen der Personenzahl im Bahnsteigbereich und der Anzahl der Züge hergestellt, die Bahn aber sagt, es sei für die Personenstromanalyse unerheblich, ob zwei oder sechs Züge pro Stunde an einem Bahnsteig stehen oder 29 oder 49 in der Spitzenstunde im gesamten Bahnhof. Dietrichs Fazit: da es inzwischen keine Punkte mit kritischen Staus mehr gebe, sei der Bahnhof in jedem Fall komfortabel.