Ein ehemaliger Richter hat das Bundesverkehrsministerium bei der Staatsanwaltschaft Berlin angezeigt. Seiner Ansicht nach hat der Bund zu Unrecht EU-Zuschüsse in Millionen-Höhe für Stuttgart 21 kassiert.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Hat sich die Bundesregierung 114 Millionen Euro Zuschuss der Europäischen Union für den umstrittenen Durchgangsbahnhof durch falsche Angaben zur Leistungsfähigkeit erschlichen? Diesen Verdacht hat zumindest der ehemalige Stuttgarter Richter und Mediator Christoph Strecker. Er hat vorige Woche eine entsprechende Strafanzeige gegen das Bundesverkehrsministerium (BMVBS) bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingereicht. Seinen Vorwurf untermauert der Jurist durch zahlreiche Dokumente, darunter der offizielle Beihilfeantrag des BMVBS vom 12. Juli 2007.

 

Der Hauptvorwurf Streckers besteht darin, dass die EU-Subvention ausdrücklich für eine Maßnahme zur Leistungssteigerung des Hauptbahnhofs beantragt und genehmigt worden sei. Nach Ansicht der Projektgegner aber werde die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs mindestens ein Drittel unter derjenigen des bestehenden Bahnhofs liegen. Im Subventionsantrag der Bundesregierung heißt es, der geplante unterirdische Durchgangsbahnhof habe „eine wesentlich höhere Kapazität“. Das hätten „Untersuchungen und Simulationen“ ergeben. Auf Seite 13 wird sogar behauptet: „Stuttgart 21 hat als Durchgangsbahnhof die doppelte Leistungsfähigkeit.“

Bis zu zehn Jahren Haft

Diese Begründung sei „unrichtig und irreführend im Sinne des § 264 Strafgesetzbuch“, so Strecker. Das Gesetz sieht für Subventionsbetrug in schweren Fällen wie gleichzeitigem Amtsmissbrauch Strafen bis zu zehn Jahre Haft vor. In der Anzeige wird kein Beschuldigter namentlich genannt. Verantwortlich seien jene Personen, die den Antrag im Ministerium formulierten und unterzeichneten, betont der Jurist.

Die Frage der Leistungsfähigkeit von S 21 ist umstritten. Das 8-gleisige Tunnelprojekt soll als Durchgangsstation den bestehenden Kopfbahnhof ersetzen, der über die doppelte Zahl von Gleisen verfügt. Kritiker befürchten einen Engpass und sehen in S 21 einen bahnrechtlich unzulässigen Rückbau der Infrastruktur.

Ein halbes Dutzend Dokumente als Nachweis

Die Deutsche Bahn als Bauherr des Projekts teilte mit, S 21 könne zur Spitzenstunde „mindestens 49 Züge bei wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität“ schaffen. Das sei im Stresstest 2011 nachgewiesen und vom Gutachter SMA bestätigt worden. Untersuchungen und Recherchen des Physikers Christoph Engelhardt, wonach die Bahn selbst in Planungsunterlagen von höchstens 32 Zügen ausgehe und mehr auch kaum möglich seien, weist der Konzern pauschal als „willkürlich“ und als „Unterstellungen“ zurück. Die Zahl von 32 Zügen sei zwar auch von der DB in einer „Fahrplanvorgabe“ für den Regionalverkehr genannt worden. Dieses „Betriebsprogramm“ treffe aber „keine Aussage zur Leistungsfähigkeit des Bahnknotens S 21“.

Als Nachweis der unterstellten Leistungsreduzierung präsentiert Strecker den Staatsanwälten ein halbes Dutzend Dokumente. Darunter ist ein Gutachten der Münchner Verkehrsberater Vieregg-Rössler von Oktober 2011, wonach der bestehende Bahnhof bei guter Qualität bis zu 56 Züge pro Stunde bewältigen könne. Beigefügt ist auch das Protokoll der öffentlichen Schlichtungsrunden zu S 21 mit der Aussage von Egon Hopfenzitz, der von 1981 bis 1994 den Stuttgarter Bahnhof leitete. Er bestätigt, dass am bestehenden Bahnhof zeitweise sogar 66 Züge pro Stunde abgefertigt wurden.

„Bahn plant auf der Basis von 32 Zügen“

Ob S 21 im Vergleich dazu 49 Züge schaffen könnte, wird in der Strafanzeige bestritten. So habe die Beraterfirma Durth Roos Consulting in Darmstadt im Auftrag der Bahn in den Jahren 1998 und 2009 so genannte Personenstromanalysen für S 21 durchgeführt, die auf einer Vorgabe von 32 Zügen pro Stunde beruhten. Hieraus ergebe sich, schreibt Strecker, dass die DB „in Wirklichkeit auf dieser Basis plant“.

Auch im Planfeststellungsbeschluss und im Finanzierungsvertrag werde die Möglichkeit zur Kapazitätsreduzierung offen gehalten, heißt es in der Strafanzeige. Zwar sei dort von einer „Leistungssteigerung“ der Bahnhofs die Rede. In den Details werde aber die Möglichkeit des Rückbaus auf 32 bis 35 Züge pro Stunde eröffnet, betont Christoph Strecker.