Die Bahn preist ihr Notfallprogramm, die Gegner sehen große Mängel. Sie sind der Meinung, der neue Bahnhof sei weniger sicher als der alte.

Stuttgart - Die Fahrdienstvorschrift der Bahn setzt eindeutige Prioritäten: An erster Stelle steht die Sicherheit. Der Konzern versuchte am Samstag durch seinen Brandschutzbeauftragten Klaus-Jürgen Bieger deutlich zu machen, dass sie diese Vorgabe ernst nehme. Vorbeugung und das Verhalten im Notfall seien umfangreich geregelt. Bieger verwies auf die Brandschutzvorschriften, den hohen Sicherheitsstandard in den Zügen und auf diverse Möglichkeiten, die einen Nothalt im Tunnel verhinderten. Komme es aber dazu, gebe es für die Selbstrettung 1,20 Meter breite Fluchtwege, die alle 500 Meter in eine Querverbindung zur Parallelröhre führten. Für die Fremdrettung habe man die Tunnel für Einsatzkräfte befahrbar gemacht.

Die Bahn weicht aber auch von Regeln ab, so im S-Bahn-Tunnel auf den Fildern. Weil in der engen Röhre künftig auch Fernzüge fahren sollen, reduziert sich die Fluchtwegbreite. Die Ausnahme wurde vom Ministerium erteilt, sie schreibt aber einen Meter vor. Der Bahnexperte Rafael Ryssel hat die Bahn nun damit konfrontiert, dass ihr Fluchtweg nur 81 Zentimeter breit wäre. Dem widersprach Bahn-Technikvorstand Volker Kefer nicht. "Diese Diskussion muss im Planfeststellungsverfahren geführt werden", so Kefer.

Problem für behinderte Menschen


Die Projektgegner sagen, der neue Bahnhof sei weniger sicher als der alte. Heute gebe es breite ebenerdige Fluchtwege, die rauchfrei blieben. Im Brandfall könne man ins Freie flüchten, und die Zufahrt von Rettungsfahrzeugen sei jederzeit gewährleistet. All das finde man im Tiefbahnhof nicht vor, so der Ingenieur Hans Heydemann. Er sagt, die angesetzte Evakuierungszeit von 21 Minuten sei wegen Engstellen an den Treppen unrealistisch. Feuer und Rauch breiteten sich schneller aus als von der Bahn behauptet. Rauch auf der Verteilerebene behindere die Evakuierung.

Der neue Tiefbahnhof sei "aus Sicht behinderter Menschen nicht tragbar", sagt der Behindertenbeauftragte von Pro Bahn, Alexander Drewes, mit Verweis auf die fehlende Barrierefreiheit. Im Notfall könnten die Fahrstühle nicht genutzt werden. "Ja, es ist so. Rollstuhlfahrern muss dann geholfen werden", räumte Bieger ein. Sollte die Bahnsteigebene evakuiert werden, müssten im Tiefbahnhof die in ihrer Mobilität eingeschränkten Fahrgäste die Treppen hochgetragen werden. Das gilt auch für den neuen Flughafenbahnhof - dort wären es sechs Etagen. Für Bieger kein Problem: die Treppenhäuser seien mit Druckluft belüftet und blieben rauchfrei.

Neigung der Gleise entfacht Streit


Kritisiert wurde das Vorhaben, den Bahnhof mit einer Längsneigung von 15,143 Promille zu bauen - dem Sechsfachen einer Soll-Vorschrift. Das sei "einmalig in Europa" und negativ, so der ehemalige Leiter der Abteilung Zugförderung bei der Bahn, Eberhard Happe. Aufgrund der Schräglage könne sich ein Zug selbstständig machen, falls das doppelte Bremssystem aus technischen Gründen oder wegen eines Versagens des Lokführers inaktiv wäre. Bahnvorstand Kefer sagte, dies sei unwahrscheinlich; in dem Fall würde der Zug durch Signale gebremst, spätestens durch die "Totmann"-Schaltung. Diese wird aktiviert, wenn der Lokführer nicht binnen 26 Sekunden reagiert.

Ryssel korrigierte den Vorstand: Bei abgeschaltetem Führerstand seien alle Zugsicherungssysteme deaktiviert. Hätte ein nachfolgender Zug das Einfahrsignal des Abschnitts passiert, in das der führerlose Zug zurückrolle, wäre ein Zusammenstoß unvermeidbar. Bei eingeschaltetem Führerstand seien die Sicherungssystem ebenfalls inaktiv, die "Totmann"-Uhr zähle erst, wenn der Zug eine Geschwindigkeit von 1,5 Metern pro Sekunde erreicht habe. In der Debatte sagte der Schlichter Heiner Geißler: "Was hier gesagt wird, ist ein massiver Angriff auf den neuen Bahnhof." Dem begegne man nicht, indem man alles verniedliche. Fakt sei: "Es ist ein Problem." Und dieses sei nur "so lange theoretisch, bis der Ernstfall eintritt".