Ein Regenbogen schmückt neuerdings den Marienplatz – als Zeichen für eine selbstbewusste Stadt, die Querdenker ablehnt. Dieser geschichtsträchtige Ort im Süden hat schon oft sein Aussehen verändert. Einst war er grasgrün. Wir blicken zurück.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wer den grünen Marienplatz aus dem Jahr 1917 betrachtet, gewinnt den Eindruck, die Rasenfläche war damals eher zum Anschauen da als zum Betreten. Auf der über 100 Jahre alten Aufnahme sieht man keine Menschen auf dem Gras, sondern nur drumherum. Heute würden bei schönem Wetter Picknickdecken ausgebreitet und Sonnenanbeter für Urlaubsflair sorgen.

 

Regenbogenbunt ist dieser Mittelpunkt des Stuttgarter Südens geworden. Sattes Pink, dunkles Orange, leuchtendes Blau über dicken weißen Tropfen - so sieht das Zeichen der Toleranz und der Hoffnung aus, das auf das Pflaster des Marienplatzes mit kräftiger Farbe aufgemalt worden ist und noch sehr lange noch so bleiben wird. Mit dem Regenbogen will die Initiative #wirsind0711 in Abgrenzung zu den Querdenkern ein positives Stuttgart-Bild vermitteln. Die Kampagne taucht  mit dem „Kleinen Regenbogen“, den die Grafikdesignerin  Sarah Gilgien (Kleine Papeterie) entworfen hat, an vielen Stellen der Stadt auf - in allen Größen.

Unten im Tal siedelten sich die kleinen Leute an

Benannt ist der Marienplatz  im dicht bewohnten Stadtviertel seit 1876 nach Maria von Waldeck und Pyrmont, der späteren Frau von König Wilhelm II. Im Jahr 1892 kam eine Attraktion hinzu: Albert Hangleiter errichtete hier ein Zirkusgebäude, das beheizt und mit elektrischem Licht ausgestattet war. Es fasste 3500 Personen. Neben Zirkusaufführungen gab es bis 1914 Sportveranstaltungen, Maifeiern und Parteitage. Oben auf der Halbhöhenlage bauten Fabrikbesitzer ihre Villen, unten im Tal siedelten sich die kleinen Leute an.

Blicken wir auf die Aufnahme von 1938 aus der Sammlung von Wibke Wieczorek: Vorne fuhr die Linie 3 der Straßenbahn vorbei. „Zahnradbahn nach Degerloch“ stand auf der Glasfassade des Kiosks. 1936 ist der Bahnhof der Zacke, die seit 1884 (zunächst dampfbetrieben) den steilen Weg nach oben kletterte, von der Filderstraße auf den Marienplatz verlegt worden. Architekt der Zacke-Haltestelle war Paul Bonatz, der Erbauer des Hauptbahnhofs. 

Im Dritten Reich war der Marienplatz der „Platz der SA“

Später missbrauchten die Nazis die zentrale Fläche als „Platz der SA“, wie auf alten Postkarten zu lesen ist. Stuttgart, so steht außerdem da drauf, hieß im Dritten Reich „Stadt der Auslandsdeutschen“. Marcel Zügel weiß, warum. „Jede Stadt bekam damals einen Zusatztitel verliehen“, schreibt er auf der Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums: „Das Wort Auslandsdeutsche war eine Beschreibung für Menschen, die deutsch waren, aber im Ausland lebten. Im Alten Waisenhaus am Charlottenplatz, dem heutigen Institut für Auslandsbeziehungen, befand sich der Sitz der Auslandsdeutschen, weshalb Stuttgart im Nazireich zu diesem Titel kam.“

Neugestaltung im Jahr 2003 war umstritten

Umstritten war im Jahr 2003 die Neugestaltung des Marienplatzes, der zu einem sozialen Brennpunkt mit Drogendealern geworden war. „Heslach-Bronx“ nannte man den Ort, den viele gemieden haben. Man eilte schnell hindurch und hinaus, aber wollte nicht mittenrein. Es musste etwas geschehen. Anwohner waren zunächst in der Mehrheit entsetzt über den Entwurf von Architekt Heinz Lermann ohne Sonnenschutz. Die Stadt hingegen rühmte den Ort als „frei und mediterran“.

„Hier ist ein tolles Flair entstanden!“

Im Facebook-Forum wird über den Marienplatz hitzig diskutiert. Dieter Dallinger schreibt: „Am Anfang dachte ich, was für eine versiegelte Wüste fast ohne Grün, aber mittlerweile gefällt mir der Platz ziemlich gut. Ein paar Bäume mittendrin fehlen noch. Tolles Flair, man kann gut frühstücken und laue Abende dort verbringen. Ob vor dem Kaiserbau, auf einem der zahlreichen Feste oder im Arigato am Anfang der Tübinger Straße.“

Uwe Sandner kommentiert die Aufnahme von 1917 mit der Rasenfläche so: „Mein Gott, war das ein schöner Platz! Aber egal wo man hin schaut (vor allem in Stuttgart), wir leben in der geschmacklosesten Epoche aller Zeiten. In Stuttgart entsteht ein hässliches Bürogebäude nach dem anderen. Vergleichsweise in Spanien wie in Barcelona, Valencia wurde eine traumhafte Stadtgestaltung inszeniert. Und dies obwohl da weit weniger Geld zur Verfügung steht. Auch sind diese Städte sauberer als bei uns.“

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Es dauerte, bis der Marienplatz angenommen wurde und sich von der Betonwüste zum Szenetreff entwickelte. Hufeisenförmig umschließt eine Baumallee aus rotblühenden Kastanien den Platz, der für viele Stuttgarter zu einem ihrer Lieblingsorte geworden ist – mit dem Regenbogen vielleicht noch ein bisschen mehr.

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