Als „Stadt der Buddelbrooks“ ist Stuttgart in den 1970ern verspottet worden. Im Zentrum des Bauens und Buddelns, lästerte man, sollte der Maulwurf das neue Wappentier werden. Das große Wühlen im Untergrund versperrte – ganz so wie heute – schon damals den Blick auf die Stadt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Sieben Jahre lang“, erinnert sich Gisela Salzer-Bothe, fuhr sie in Stuttgart nur an Baustellen vorbei. Über vier Jahrzehnte ist dies nun her. „Meine damalige Meinung war fatalistisch“, schreibt sie im Facebook-Forum unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album, „zu den Bruddlern sagte ich, dass jede Umleitung doch ein Fortschritt ist.“ Froh sein sollte man über die rege Bautätigkeit der frühen Jahre: „Stellt Euch heute den Verkehr oberirdisch vor!“

 

Eine Stadt hinter Bauzäunen – damals wie heute. Menschen, die in den 1960ern und 1970ern hier lebten, kennen die Dauerbuddelei zu gut, die schon damals kein Ende nehmen wollte. Durchbruch der Planie, der Charlottenplatz wurde gleich mehrfach für Autos und Straßenbahn untertunnelt. Auf der Königstraße riss man Schienen heraus, um ein Riesenloch zu graben. Vor dem Hauptbahnhof ging es mit der Klett-Passage in die Tiefe – und keiner rief „Oben bleiben“. Am 2. Juli 1962 begann die Stadt damit, ihre City zu unterkellern. An diesem Tag bohrte sich am Charlottenplatz der erste Spaten fürs Tunnelnetz ins Erdreich. Es war eine Operation am offenen Herzen – trotz der Großbaustelle sollte es auf den umliegenden Straßen nicht zum Verkehrsinfarkt kommen. 1966 ist die Jungfernfahrt der Straßenbahn zwischen Holzstraße und Staatstheater gefeiert worden. Und die Buddelbrooks machten geradeso weiter.

Die Stadt „zwischen Löchern und Gräbern“

Am 5. Juli 1971 gab Bundesverkehrsminister Georg Leber mit dem Presslufthorn das Startsignal für den Bau der S-Bahn. Stuttgart wurde zu „Maulwurfshausen“ und bekam den wenig schmeichelhaften Beinamen „Stadt zwischen Löchern und Gräbern“. Und noch ein Spruch machte seine Runde: „Schiller wusste, warum er floh.“

Autogerecht – das Wort dieser Zeit. Von Feinstaub sprach keiner. Die Motorisierungswelle überflutete den Kessel. 1960 waren bereits 107 000 Kraftfahrzeuge in Stuttgart registriert, die sich zeitweise – wie heute – nur im Schritttempo bewegen konnten. Am Charlottenplatz wurden alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, damit sich zwei Bundesstraßen – die B 27 von Nord nach Süd und die B 14 von Ost nach West – ausbreiten können. Eine lärmende Stadtautobahn reißt seitdem die „Kulturmeile“ zwischen Theater und Gerichtsviertel auseinander – auch jetzt noch, da die Dauerbaustellen in die geplagte Stadt zurückgekehrt sind.

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