Der Niedergang der Schulstraße beunruhigt viele in Stuttgart. Immer mehr Läden stehen hier leer. Unser Geschichtsprojekt Stuttgart-Album blickt zurück auf bessere Zeiten einer 130 Meter langen Gasse mit großer Tradition.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Was ist aus der alten Pracht geworden? Auf der Schulstraße, die mal bundesweit eine Vorreiterrolle gespielt hat, schließen immer mehr Läden für immer. Ein Grund dafür ist: Die Mieten sind den Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern bei sinkender Passantenfrequenz zu hoch. Selbst McDonalds hört auf. Einst galt das Sträßchen als modern und gab über den Kessel hinaus den Ton an – als eine der ersten Fußgängerzonen in Deutschland.  

 

Im Facebook-Forum des Stuttgart-Albums wird eifrig über 130 zentrale Meter der City diskutiert, die bei vielen mit Kindheitserinnerungen verbunden sind.  Marjana ZI  schreibt: „Willkommen im Internetzeitalter, wo alles nur noch über Amazon läuft. Der stationäre Handel hat kaum eine Chance. Wenn Kaufhof- Filialen schließen müssen - was sollen dann erst die kleinen Händler sagen?“

„Wer erinnert sich an sprechende Automaten?“

Michael Rauser rühmt bessere Zeiten: „Wer erinnert sich noch an den sprechenden Automaten für Süßigkeiten in der Schulstraße? Vom Marktplatz kommend auf der rechten Seite. Muss Ende der 1950er Jahre gewesen sein. Es gab damals überhaupt viele Automaten: Kaugummi, Filme, Bücher, Zeitungen, Blumen, Damenstrümpfe, Süßigkeiten - alles mechanisch und ohne Stromanschluss.“ 

Einstmals war die Schulstraße eine Sackgasse

Und Claudia Frank kommentiert im Stuttgart-Album: „Da gab es den Schuhladen mit der Rutsche rechts. Und links in der Nebengasse so ein tolles Büroartikelgeschäft. Und natürlich Korbmayer. Wie oft sind wir da hoch und runter als Kinder mit meinen Eltern! Fröhlich und bunt sah es aus mit verschieden farbigen Marquisen und den Blümchen.“

Die Schule, nach der die Straße benannt ist, gibt es schon lange nicht mehr. Auch die alte Pracht der Fachwerkhäuser, die aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammten,  ist Vergangenheit, von den Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstört. Die Schulstraße verbindet die Königstraße mit dem Marktplatz. Sie überbrückt einen Höhenunterschied, der auf den Stadtwall zurückzuführen ist, der im Mittelalter das alte Stuttgart umschlossen hat. Neben dem Wall stand die Stadtmauer.

Einstmals war die Schulstraße daher eine Sackgasse. In der Stadtgeschichte spielt die Gasse keine unerhebliche Rolle. Und bundesweit hat man ihr in den 1950er Jahren Vorbildfunktion zuerkannt. Die Schulstraße war Wegbereiter fürs Verbannen von Autoblech aus der City.

Wer hatte die erste Fußgängerzone im Land?

Dass die Stuttgarter bei abgasfreien Zonen die Nase vorne hatten, wie dies immer wieder kolportiert wird, ist aber nicht ganz korrekt. Die erste Fußgängerzone in Deutschland gab es schon vor dem Krieg in Essen (Limbecker Straße von 1927 an). Nach dem Krieg war 1953 die Treppenstraße in Kassel die Nummer eins, danach kam die Holstenstraße in Kiel – noch vor der Schulstraße, die im November 1953 autofrei geworden ist. Doch den Ehrentitel, die erste Fußgängerzone auf zwei Ebenen zu besitzen, kann man Stuttgart nicht nehmen.

Ein Mann ohne Beine verkaufte Karten auf der Schulstraße

Unvergessen ist ein Mann, der tief unten auf einem Kissen saß und fast täglich Postkarten verkaufte. Werner Toberer, so hieß er, gehörte zum Stadtbild. Er kam aus Pforzheim, war ohne Beine und nur mit einem Arm geboren, verkaufte über 25 Jahre lang auf der Schulstraße Karten  - bis zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1987. Meist grimmig schaute er drein. Viele Kinder hatten Angst vor ihm. Almosen wollte er nicht. Kinder, so erzählte man sich, waren nicht seine beste Freunde. Wer weiß schon, wie Toberer von anderen Kindern in der Schule gehänselt worden ist? Das dritte Foto unseres Newsletters ist eine Momentaufnahme zum Nachdenken. Man sieht darauf, wie der Behinderte ohne Beine vorne sitzt, während dahinter die Dame mit Pelz mit Tüten am Schaufenster steht. Gegensätze einer Großstadt. 

Ohne Korbmayer ist die Schulstraße kaum denkbar

Bei den Kaufhäusern gab es ein Kommen und Gehen -  die Schulstraße dazwischen ist immer geblieben. Hier sehen wir die Kaufhalle und das Kaufhaus Union.  Die Bezeichnung Schulstraße gehört übrigens zu den ältesten Straßennamen in Stuttgart, die noch immer in Gebrauch  sind. Während sich auf der oberen Seite die Namen der Kaufhäuser geändert haben (von Union bis Primark), ist unten eine Institution bis heute geblieben: Korbmayer wurde 1863 als Werkstatt samt Laden von Johann Georg Mayer eröffnet - einige Jahre, bevor das Auto erfunden wurde.

Ohne Korbmayer ist die Schulstraße kaum denkbar. Florian Henneka, der Ururenkel des Firmengründers, fordert einen runden Tisch für die Schulstraße. „Wir müssen uns dringend alle zusammensetzen, um diesem Flickenteppich ein Ende zu bereiten“, sagte er kürzlich unserer Zeitung. Kann es  mit diesen 130 zentralen Metern wieder aufwärts gehen, wenn neue Ideen zünden? Wir hoffen es für Stuttgart! Trostlose Straßen mit vielen Leereständen tun der Stadt gewiss nicht gut.

Diskutieren Sie mit unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“. Wer mehr über die Stadtgeschichte Stuttgarts erfahren will, kann den Newsletter „StZ Damals“ kostenlos abonnieren unter:http://stzlinx.de/stzdamals.