Die Kammersängerin ermordet, das Hoftheater abgebrannt – in der Geschichte der Oper und des Schauspiels von Stuttgart waren die Dramen nicht nur inszeniert. Jetzt wird erneut eine Interimsstätte nötig – nicht zum ersten Mal in der Theater-Historie, wie die Fotos von Michaela Klapka zeigen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Am 20. Januar 1902 wird im Alten Hoftheater, das sich an jener Stelle befindet, auf dem später der goldene Hirsch überm Kunstgebäude thronen wird, Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ aufgeführt. Nach einem glanzvollen Opernabend besuchen zufriedene Zuschauer umliegende Lokale. Um Mitternacht sind die meisten zu Hause, als ein Feuer ausbricht.

 

Heute weiß man: Die Ursache ist ein elektrischer Kurzschluss. „Die zum Himmel lodernden Flammen“, schreibt der „Schwäbische Merkur“, „verkündeten die Nachricht von der Katastrophe.“ 260 Feuerwehrleute sind machtlos. Am nächsten Morgen ist der Stolz von König Wilhelm II. eine Ruine. Die kann man heute noch sehen – nicht am Originalschauplatz, sondern am Rande der Schlossgartenanlagen zur B14 hin. Ein zusammengefügter zweistöckiger Arkadengang mit Treppen erinnert dort an höfische Pracht. Bei dem Brand sind die Überreste des Lusthauses von 1593 freigelegt worden, auf dessen Kern das Hoftheater zurückgeht.

Interimstheater war in neun Monaten fertig

Unsere Leserin Michaela Klapka hat großartige Fotos gesammelt, die alle Stationen der Stuttgarter Theatergeschichte aufzeigen. König Wilhelm II., ein Freund der Oper, hat nach der Zerstörung des Hoftheaters rasch gehandelt. Vorübergehend wird im Cannstatter Wilhelma-Theater gespielt. In nur neun Monaten lässt der König auf dem Platz des heutigen Landtags ein Interimstheater bauen – es wird am 12. Oktober 1902 eröffnet, noch im Jahr des Brandes. Zehn Jahre wird es die Heimat der Bühnenwelt. Dank des liberalen Regenten können in Stuttgart Stücke aufgeführt werden, die man in Berlin wegen der restriktiven Zensur nicht sehen kann. Von 1909 bis 1912 entsteht nach den Plänen von Max Littmann ein neues Doppeltheater mit Großem Haus (heute: Opernhaus) und Kleinem Haus (heute: Schauspielhaus). Der botanische Garten, von König Wilhelm II. bereitgestellt, dient als Baugrund. Der Theatersee, der heute Eckensee heißt, ist damals noch rund, wie die alten Fotos von Michaela Klapka beweisen. Nach dem Ende der Monarchie 1918 wird das Königliche Hoftheater in Württembergisches Landestheater umbenannt.

Im Krieg wird das Kleine Haus zerstört, das über Säulen verfügte. Nach heftigen Debatten wird die neue Theaterstätte nach Plänen von Hans Volkart 1962 eröffnet. Er gliedert an die erhaltene Außenmauer ein rechtwinkliges Bühnenhaus an. 1957 wird Nicholas Beriozoff im Großen Haus zum Ballettdirektor ernannt. Mit John Cranko nimmt 1961 das Ballettwunder seinen Anfang.

Ex-Liebhaber hat Kammersängerin Anna Sutter 1910 ermordet

Als die Kammersängerin Anna Sutter am 29. Juni 1910 ermordet wird, erscheinen Extrablätter der Zeitungen. Ihr ehemaliger Liebhaber, der Hofkapellmeister Aloys Obrist, hat sie aus Eifersucht mit zwei Pistolenschüssen getötet, bevor er sich das Leben nimmt. Zum Gedenken an die Sopranistin wird 1914 der Schicksalsbrunnen im Oberen Schlossgarten gebaut. Das Grab von Anna Sutter befindet sich auf dem Pragfriedhof, das bis Ende der 1960er ihr letzter Liebhaber, der Opernsänger Albin Swoboda, täglich mit frischen Blumen schmückt.

In der Geschichte der Oper steht eine weitere Zäsur bevor: 2018 soll die Sanierung des denkmalgeschützten Littmann-Hauses beginnen. Sieben Jahre könnte der Umbau dauern. So schnell wie 1902, als König Wilhelm II. der Antreiber war, dürfte die neue Interimsstätte kaum fertig werden. Hat etwa König Kretschmann nicht so viel Macht?

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