Weit über ihre Kasernen hinaus haben US-Soldaten seit Kriegsende Stuttgart beeinflusst. Am Beispiel AFN, Amerika-Haus und Discos blicken wir auf Jahre zurück, als amerikanische Kultur, Musik und Lebensart die Stadt geprägt haben

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Jetzt, da womöglich auf Trumps Geheiß die US-Army weitere Kasernen räumt, ist immer wieder vom Wirtschaftsfaktor der GIs die Rede. Dies galt bereits von jenem 8. Juli 1945 an, an dem die Amerikaner in Stuttgart die französischen Besatzungstruppen ablösten. Der Unterschied war enorm. Die französischen und marokkanischen Kampfeinheiten galten als arm, die Amerikaner aber zogen mit voll beladenen Lastwagen ein.

 

Prompt wuchs das Angebot auf dem Schwarzmarkt. Lucky Strike und Camel-Zigaretten wurden gegen Klaviere oder Diademe getauscht. Schokolade gab es wieder, Kekse, Kaugummis, Kaffee. Außerdem zahlten die Truppen gut für Dienstleistungen.  

„Leider musste das Amerika-Haus 1995 schließen“

Auch mit geistiger Nahrung  hat Uncle Sam die Menschen in Stuttgart erfreut. 1946 ist das Amerika-Haus an der Neckarstraße eröffnet worden – das erste seiner Art in Deutschland. Darin befand sich eine US- Bibliothek für Deutsche. Bald war das Gebäude zu klein, man zog mehrfach um, bis 1961  mithilfe der Stadt ein Amerika-Haus an der Friedrichstraße erbaut wurde.

Regisseur Charles C. Urban erinnert sich: „Als ich 1972 nach Stuttgart kam, war ich mindestes einmal die Woche im Amerika-Haus an der Friedrichstraße. Neben der tollen Bibliothek gab es im ersten Stock Konzerte, Lesungen, Theatervorstellungen und Filme im Original – die einzige Möglichkeit damals in Stuttgart. Leider musste das Haus 1995 schließen. Ich bekam von der Leitung alle Theaterzeitschriften geschenkt, die im Keller gelagert waren. Ein wahrer Schatz.“

1948 hat AFN Stuttgart aus dem Hotel Graf Zeppelin gesendet

Norbert Prothmann  vergisst nie: „Ich musste in der achten Klasse ein Referat über Al Capone halten und suchte einen Stadtplan von Chicago, um die Gang-Territorien aufzeigen zu können. Das Amerika-Haus hatte einen. Ich war sehr beeindruckt.“

Den deutschen Musikgeschmack hat ein Sender geprägt, der sich so meldete: „This is AFN, the American Forces Network in Stuttgaaaart!“ Am 17. März 1948 wurde zum ersten Mal aus dem Hotel Graf Zeppelin gesendet. AFN brachte Jazz und Rock ’n’ Roll nach Stuttgart. Rasch war der Soldatenfunk der Liebling der deutschen Nachkriegsjugend.

DJ-Legende Uwe Sontheimer erinnert sich

Im Internetportal unseres Stuttgart-Albums erinnern sich viele daran. Nikolaus Uttas schreibt: „Ich war Lehrling und hatte um 16.30 Uhr Feierabend, bin mit dem Fahrrad schnell nach Hause. Denn um 17 Uhr kam das AFN-Wunschkonzert. Die damaligen regionalen Sender brachten nichts für junge Leute.“ Uwe Sontheimer, den man in Stuttgart heute eine DJ-Legende nennt, erinnert sich: „Sonntagnachmittag kam American Top 40 – legendär die Abmoderation von Casey Kasem: ‚Keep your Feet on the Ground and keep reaching for the Stars‘.“

Stuttgart verfügte in den 1980ern über eine stark ausgeprägte US-Kultur. Allein im Großraum Stuttgart sowie zwischen Heilbronn, Böblingen, Schwäbisch Gmünd und Göppingen waren damals etwa 45 000 Soldaten stationiert – plus deren Familien. In Stuttgart trafen sich die GIs in den Discos wie dem Cinderella an der Tübinger Straße, dem Maddox an der Theodor-Heuss-Straße oder dem Galaxy am Bahnhof. Dort liefen Disco, Funk und Soul. Auch die Musik der afroamerikanischen Ghettos in New York, mehr geredet als gesungen, verbreitete sich: der Rap. Vier Jungs, die später als die Fantastischen Vier ganz nach oben schnellten, waren häufig dort, wo diese Musik lief. Smudo erzählte einmal: „Außerhalb der Barracks gab es Discotheken ohne Ende, wo sich die Kultur mischte. Dort wurde gerappt und gescratcht. Und wir hemdsärmeligen Schüler haben dort die ersten Raps gekickt.“

Mit den Jahren rückte Amerika in die Ferne

Junge Stuttgarter fuhren zum Burgholzhof, um sich große Autos mit Heckflossen anzuschauen. Dort erstrahlten an Weihnachten grandiose Christbäume. Hollywoodschaukeln standen plötzlich in Stuttgarter Vorgärten. BMX, Skateboard, Rollerskates, McDonald’s, Breakdance – was aus den Staaten kam, zündete auch hier.

Mit den Jahren rückte Amerika aber in die Ferne. Es wurde eingezäunt und mit Panzersperren versehen. Je öfter auf der Welt eine Bombe Amerikaner traf, desto mehr schien sich das Amerika von Stuttgart auf dem Burgholzhof zu verbarrikadieren. Gleichzeitig gab es Demos vor Kasernen. Seit 1967 hat das Eucom-Hauptquartier seinen Sitz in den Patch Barracks in Vaihingen. Mit zwei US-Oberkommandos ist Stuttgart ein wichtiger Standort für das Militär. Von hier aus werden die Truppen in der halben Welt bewegt. Keiner weiß, wie lange noch. Auch wenn die GIs eines Tages aus Stuttgart ziehen sollten, werden sie viel hinterlassen.

Diskutieren Sie mit unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Abonnieren Sie kostenlos den Newsletter „StZ Damals“.