Die Angst vor einem tollwütigen Dachshund hat im Januar 1904 Stuttgart so sehr beunruhigt, dass sogar Postkarten dazu erschienen sind. Unser Stuttgart-Album erzählt die Geschichte – mit Happy End.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Wenn heutzutage ein Ereignis die gesamte Stadt beschäftigt, wenn etwas Beunruhigendes passiert oder wenn ein Thema ganz unterschiedliche Meinungen auslöst, also kontrovers diskutiert wird, schlägt sich dies sehr schnell in den sozialen Medien im Internet nieder. Vor über hundert Jahren gab es kein Facebook und kein Instagram. Aber es gab in Stuttgart Zeichner und Postkartenverleger, die das Gespür für Stimmungen in der Bevölkerung hatten. Umgehend dachten sie sich etwas Originelles aus, natürlich in der guten, alten, rein anlogen Form, sobald die Menschen in der Stadt mit einem Aufreger umzugehen hatten. Kleine Kunstwerke sind dabei entstanden. Was Stadtgespräch war, wurde sodann per Post rumgeschickt.

 

Wolfgang Müller, der langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass aus dem Wilhelmspalais das Stadtpalais als Stuttgart-Museum entstanden ist, kann mit Postkarten aus seiner umfangreichen Sammlung eine wahre Geschichte vom Januar 1904 erzählen – zum Glück mit einem guten Ausgang.

1904 sind noch viele Menschen an Tollwut gestorben

Es war die Zeit, als die Tollwut Mensch und Vierbeiner bedroht hat. Hervorgerufen wird diese Krankheit von einem Virus, der sich im Speichel infizierter Tiere befindet. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt durch Bisse, Kratzen und Lecken oder durch Verunreinigung von Wunden und Hautabschürfungen durch tollwütige Wildtiere oder Haustiere, die sich an infizierten Wildtieren angesteckt haben. Der letzte Fall von Tollwut eines Vierbeiners ist in Deutschland im Februar 2006 festgestellt worden. Seit Herbst 2008 gilt die Krankheit dank Impfungen in unseren Breiten als besiegt. Allerdings wurde kürzlich in Halle bei einer Fledermaus das Tollwut-Virus nachgewiesen.

1904 sind noch viele Menschen an Tollwut gestorben. Anzeichen einer Infektion sind Wesens- und Verhaltensänderungen wie erhöhte oder verminderte Erregung, Aggressivität oder Benommenheit. Wildtiere verlieren ihre angeborene Scheu und dringen bis in Ortschaften vor, sind orientierungslos, angriffslustig oder beißsüchtig. Gefährdet sind insbesondere Hunde und Katzen sowie Weidetiere.

Sofort wurde die „Hundesperre“ verhängt

Kurz nach Neujahr, so ist im Stuttgarter Stadtarchiv nachzulesen, ging am 4. Januar 1904 die Nachricht um, dass ein „der Tollwut verdächtiger Dachshund“ in der Marienstraße mehrere Menschen angefallen und gebissen habe. In der Langen Straße ist der Dackel erschlagen worden. „Über den Gemeindebezirk und die benachbarten Oberämter“, so heißt es in einer Zeitungsnotiz im Stadtarchiv weiter, „wurde die Hundesperre verhängt“. Die gebissenen Menschen musste nach Berlin in das Pasteur-Institut, das auf Fälle dieser Art spezialisiert war. Wenige Tage später kamen in Stuttgart Postkarten auf den Markt mit Zeichnungen von der Hundesperre. Die Vierbeiner mussten Maulkorb tragen und an der Leine geführt werden. Das taten sie erkennbar traurig, Auf einem Motiv sieht man, wie Menschen vor einem „tollen Dackel“, den die Polizei verfolgt, mit Regenschirmen in eine Straßenbahn fliehen. Für eine weitere Karte ist gedichtet worden: „So Hundle beisset net,/ond send au’ net g’fährlich. / Doch bei d’r Hundesperr’ jetzt / Send d’ausgestopfe auf g’fährlich.“

Der Dackel hatte gar keine Tollwut

Im Stadtarchiv, wo Wolfgang Müller, der Besitzer der Tollwut-Stuttgart-Karten, recherchiert hat, findet sich auch der Abschluss dieser Stuttgarter Geschichte. Die Aufregung sei einer „tiefgehende Entrüstung“ über die wahren Hintergründe gewichen. Der Dachshund, so fand man heraus, sei gar nicht krank gewesen, sondern „durch unglaubliche Misshandlungen eines rohen Burschen, den nachher die Strafe dafür ereilte, in den verdachtserregenden Zustand geraten.“ Die genaue Untersuchung des erschlagenen Dackels ergab, dass dieser das Tollwut-Virus gar nicht in sich trug. Die nach Berlin in das Spezialinstitut gereisten Stuttgarterinnen und Stuttgart durften die Isolation verlassene und nach Hause zurückkehren. Und weiter ist in der Zeitungsnotiz im Stadtarchiv zu lesen: „Am 31. Januar wurde – zur allgemeinen Erleichterung – die Sperre wieder aufgehoben.“

Eine Gefahr stellen heute aus dem Ausland eingereiste Tiere dar, die das Tollwut-Virus haben könnten und deshalb geimpft werden sollten.

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