Die Eberhardstraße soll zum Vorbild werden. Wo eine autofreie Flaniermeile mit Außengastro entstehen soll, ist in den 1970ern eine „Sensation aus Amerika“ gelandet. Die Frauenbewegung lief Sturm. Die Peep-Shows blieben bis 1987.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Nur noch Radler, Taxler und Behinderte werden auf die Eberhardstraße gelassen sowie der Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten. Hier will die Stadt zeigen, was sie unter einer „lebenswerter City“ versteht. Die neue Fahrradstraße, über deren Umgestaltung gerade in der Kommunalpolitik viel diskutiert wird, stand in den 1970ern schon mal im Fokus. Denn die ersten Peep-Shows haben sich hier angesiedelt. Den Strip-Läden trauert niemand nach – aber dem Kaufhaus Schocken weiter oben sehr wohl. Der Abriss des Mendelsohnbaus an der Eberhardstraße im Mai 1960 bewegt bis heute die Gemüter.

 

Bevor das Internet die Menschheit mit Pornografie versorgte, fand die männliche Triebabfuhr gar seltsame Wege. Wer hat’s erfunden? Aus den USA kam das Sehschlitz-System fürs „„Minutenglück“,  das die Spider Murphy Gang besang.

Die Frauenbewegung lief Sturm

Sobald jemand eine Mark in abschließbaren Kabinen einwarf, öffnete sich der Guckkasten für eine Minute. Man blickte auf eine Drehscheibe, auf der sich nackte Tänzerinnen, oft Ex-Sekretärinnen und Hausfrauen, rekelten. In den 1970ern war die nach Graf Eberhard im Bart (er lebte von 1445 bis 1496) benannte Straße eine Hosen-Straße, eine Bar-Straße - und eben eine Peep-Show-Straße. Bei Hosen-König oder Hosen-Eck gab’s Umkleidekabinen, gleich daneben weitere Kabinen, in denen die Männer die Tauglichkeit ihrer Jeans-Reißverschlüsse testen konnten.

Automaten mit Klappen kamen einer  Gelddruckmaschine gleich. Im Stuttgarter Rathaus gingen in 1970ern etwa 40 Anträge pro Jahr auf Genehmigung einer Peep-Show ein – die Beamten ließen aber nur zwei Stripläden dieser Art gewähren. Die Frauenbewegung lief Sturm, und Männer bewegten sich in Massen zu Sehschlitzen, die sich in kleinen, ungemütlichen Kabinen befanden. „Bevor wir die Boa besuchten, sind wir da alle rein“, berichtet eine Zeitzeuge im Internetforum des Stuttgart- Albums, „wir gingen zu viert in eine Kabine und flogen raus.“ Die Boa, den Dino unter den Discos, gibt es immer noch. Peepshows mit Live-Darbietung sind ausgestorben.

Eine bizarre Fußnote in der menschlichen Sexualkunde

1982 befand das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, dass die „Zurschaustellung nackter weiblicher Körper in dieser Form“ gegen die „guten Sitten“ verstoße. Zuvor hatten mehrere Instanzen nichts Verbotenes an Voyeur-Kabinen erkennen können. Die Frauen präsentierten sich ja freiwillig. Stuttgart widersetzte sich jahrelang den Verboten.

Der „Spiegel“ meinte, den Grund zu kennen: „Bei den Schwaben kämpfen die Fremdenwerber gegen den Ruf an, in der Stadt gebe es überhaupt kein Nachtleben.“ Zunächst müsse die Rechtslage geprüft werden, erklärte damals Gerhard Goller vom Amt für öffentliche Ordnung. Man setzte auf eine friedliche Einigung, um einen teuren Gerichtsstreit zu vermeiden. Die beiden Peepshows durften bis Ende des Pachtvertrags im Jahr 1987 weitermachen. Dafür erklärten sie sich bereit, nicht auf Fortbetrieb zu klagen.

Triebabfuhr in den 1970ern. Im Vergleich zu dem, was heute im Internet möglich ist, sind die alten Peep-Buden mit den großen Klappen nur eine bizarre Fußnote in der menschlichen Sexualkunde.

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