Er galt als liberal, bevorzugte die leisen Töne und spazierte mit seinen Hunden durch die Stadt: Erinnerungen an den „Keenig mit den Bombole“ haben viele Stuttgarter von ihren Großeltern im Ohr. Vor 100 Jahren starb König Wilhelm II. Alte Geschichten und alte Widersprüche leben auf.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Im November 1918 weht die rote Fahne auf dem Dach des Wilhelmspalais, am Wohnsitz des letzten Königs von Württemberg. Wilhelm II. – nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, dem letzten deutschen Kaiser – muss abdanken. Wenige Jahre zuvor soll er bei der Verabschiedung von Soldaten in den Ersten Weltkrieg geweint haben. Ob die Tränen aus Sorge um seine „lieben Buben“ flossen oder aus Angst vor der Schicksalsstunde für seinen Thron, ist bei Historikern umstritten. Bei Truppenbesuchen spendete der Regent Freibier und sprach vom bevorstehenden Sieg. Gesiegt hat die Novemberrevolution. Die deutsche Monarchie wird gestürzt.

 

Zum 100. Todestag von Wilhelm II., der sich an diesem Samstag jährt, sind ihm das Stadtpalais und das Hauptstaatsarchiv mit Ausstellungen als König und Mensch auf der Spur. Der Regent galt als „bürgernah, ein Mann des Volkes, stets beherrscht, die leisen Töne bevorzugend“, steht in der Biografie von Paul Sauer. „Die Ausstellungen sollen auch verdeutlichen, dass das Bild Wilhelms in vielem von einer inneren Zerrissenheit geprägt ist“, sagt Albrecht Ernst, der Kurator der Ausstellung im Hauptstaatsarchiv. Am 2. Oktober 1921 war der „Bürgerkönig“, wie man ihn nannte, mit 73 Jahren in Bebenhausen an den Folgen einer Erkältung gestorben.

Der Leichenzug durfte nicht durch Stuttgart fahren

1918 war Wilhelm II. nach dem Sturz der Monarchie auf die Gnade der sozialdemokratisch geführten Regierung angewiesen. Diese zeigte sich großzügig. Der letzte Königsspross des Hauses Württemberg, nun zum Herzog herabgesetzt, bekam eine jährliche Rente von 200 000 Mark sowie ein lebenslanges Wohnrecht im Jagdschloss Bebenhausen. Vor seinem Tod hatte er verfügt, dass seine letzte Fahrt zur Beerdigung weit um Stuttgart herum führen sollte, also um die Stätte seiner Niederlage herum. 100 000 Menschen sollen ihm entlang des Trauerzugs die letzte Ehre erwiesen haben.

Für drei Monate steht der König mit seinen Hunden Ali und Ruby nun vor dem Opernhaus – also seine Bronzeskulptur von 1991, die bis 2017 vor dem Wilhelmspalais platziert war und dann in den Museumsgarten dahinter versetzt wurde. Der Platz an der Oper passt nicht schlecht. Denn Wilhelm war ein Förderer der Kultur. Nach dem Brand des Hoftheaters hatte er in nur neun Monaten ein Interimstheater bauen lassen – es wurde am 12. Oktober 1902 auf dem Gelände des heutigen Landtags eröffnet.

Zehn Jahre lang, bis zur Eröffnung des Littmann-Baus, war es die Heimat der Bühnenwelt. Dank des liberalen Regenten durften in Stuttgart Stücke aufgeführt werden, die in Berlin wegen der restriktiven Zensur nicht erlaubt waren.

Der Großvater von Wilhelm II. war Wilhelm I., der zweite König von Württemberg. Wilhelm I. wiederum hatte in drei Ehen vier Töchter und einen Sohn. Dieser Sohn hieß Karl und war der dritten König von Württemberg. Weil Karl, der als schwul galt, mit seiner Olga kinderlos blieb, folgte Wilhelm II. seinem Onkel auf den Thron – und ist zum letzten König von Württemberg geworden.

Wilhelm II. folgt seinem Onkel Karl, der kinderlos war, auf den Thron

„Grüß Gott, Herr Keenig!“

Die Erinnerungen an König Wilhelm II. sind in Stuttgart von Generation zu Generation weitergegeben worden. Im Facebook-Forum des Geschichtsprojekts Stuttgart-Album schreibt Andrea Park: „Meine Oma hat für ihn gearbeitet als Bedienstete im Schloss. Sie hat immer mit Begeisterung davon erzählt und mich als kleines Mädchen mit tollen Geschichten aus dem Schlossalltag unterhalten.“ Peter Karr lässt wissen: „Mein Opa war einer jener Stuttgarter Buben, die ihn bei seinen Spaziergängen per Handschlag mit ,Grüß Gott Herr Keenig‘ begrüßt haben. Er erzählte, wie er dann in seine Jackentasche griff und jedem der Buben ein Zehnerle (was damals richtig viel Geld war) in die Hand drückte.“ Andere Kinder, so postet Petra Ballon, sollen ihn gefragt haben: „Herr Keenig, hosch du a Bombole?“

„Seine Tochter durfte keinen Romanow heiraten“

Susanne N. schreibt: „Er muss unendlichen Humor gehabt haben. Bei ihm im Schloss sind die Brüder Stauffenberg aufgewachsen – ihr Vater war Oberhofmarschall, die Mutter Hofdame –, die ja altersmäßig nur zwei Jahre auseinander waren.“ Susi Konrad postet: „Nachdem vor den Stufen seines Palais einer seiner Wächter umgebracht wurde, hat er nie wieder einen Fuß auf Stuttgarter Markung gesetzt. Selbst seinen Sarg musste man um Stuttgart herumtragen. Seine Tochter durfte keinen Romanow heiraten. Und er war Buchbinder von Beruf. Ein guter König.“

Die Ausstellung im Stadtpalais beschränkt sich nicht auf die Bonbons und die Hunde des Königs. Sie zeigt auch seine politischen und privaten Widersprüche. Vielleicht kann man den alten König sogar neu erleben. Die Monarchie freilich bleibt das, was sie ist – Vergangenheit!

Infos

Stuttgart-Album
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