Die Würde Homosexueller blieb lange antastbar. 40 Jahre ist es nun her, dass in Stuttgart erstmals gegen Ausgrenzung demons­triert wurde. Zum Jubiläum, das am 6. Juli im Kunstverein gefeiert wird, erinnern wir an die Anfänge des CSD.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der frühere Spitzenturner Lucas Fischer wird an diesem Samstagabend beim Jubiläumsempfang des Christopher Street Day im Württembergischen Kunstverein „Set new Signs“ singen, die offizielle Hymne zur Kunstturn-WM im Herbst in Stuttgart. Überzeugend hat der 28-Jährige selbst Zeichen gesetzt. Sein jüngstes Outing, sagt er, hat ihn stark gemacht.

 

Als junger Mann vom Jahrgang 1990 kann Fischer nur ahnen, wie schwer es Generationen vor ihm hatten, zu ihrer Veranlagung zu stehen. Dass sich eines Tages ein deutscher Bundespräsident öffentlich für das Unrecht entschuldigen würde, das der Staat Schwulen und Lesben auch nach Ende der NS-Zeit angetan hat, hätte sich am 30. Juni 1979 wohl keiner der 400 Demonstranten vorstellen können. Dieses Datum markiert in Stuttgart den Beginn der CSD-Geschichte. Eine zierliche Dame mit weißen Haaren trug damals ein Schild, auf dem stand: „Mein Sohn ist schwul! Na und!“ 40 Jahre ist es her, dass am Königsbau der „Homobefreiungstag“ ausgerufen wurde – zehn Jahre nach dem Stonewall-Aufstand gegen Polizeiwillkür auf der Christopher Street in New York.

Die Angst vor Aids ging um

Weitere Demos für Toleranz und gegen die Abschaffung des menschenfeindlichen Paragrafen 175 folgten in Stuttgart 1985 und 1994, ehe 2000 der Ansturm so groß war, dass der CSD von da an jährlich in den Farben des Regenbogens gefeiert wird. Von mehr als 50 CSD-Paraden in Deutschland ist der bunte Stuttgarter Zug mit über 90 Formationen und etwa 6500 Teilnehmern mittlerweile der drittgrößte – nach Köln und Berlin.

1994 hatte es OB Manfred Rommel abgelehnt, Schirmherr des CSD zu werden. „Die Frage der Zuneigung“, erklärte er, sei „eine Privatsache“. In den Stuttgarter Nachrichten stand über die Demo in diesem Jahr mit 1000 Teilnehmern: „An der Kronprinzstraße versammelte sich ein buntes Völkchen. Einige hatten sich als Nonnen verkleidet, die Kondome warfen. Zu Musik von Boy George wurde wild getanzt. Mit Sicherheitsabstand verfolgten Passanten das Schauspiel.“

Nicht nur Intoleranz machte Homosexuellen zu schaffen, sondern auch die Angst vor Aids. Der 5. Juni 1981 gilt als der Tag, an dem die HIV-Krankheit bekannt wurde. Wissenschaftler berichteten von fünf jungen Männern, die an einer extrem seltenen Art der Lungenentzündung litten. Buchhändler Thomas Ott trommelte im Oktober 1984 etwa 25 Personen zur Gründung der Aids-Hilfe zusammen „Wir spürten, dass die Krankheit als Aufhänger genutzt wurde, um schwules Leben zu diffamieren“, schrieb Ott im „Rainbow“, dem Magazin der Aids-Hilfe.

1977 hat der Kings Club als Schwulendiskothek aufgemacht

Als der Kings Club (KC) als Schwulendiskothek 1977 in einem Keller ohne Beleuchtung fast heimlich eröffnete (nach illegalem Vorlauf), flogen wenig später Steine durch den Eingang. Heute wünschen die Gäste ein helleres Fassadenlicht – verstecken will sich keiner mehr. In Rumänien hatte KC-Wirtin Laura Halding-Hoppenheit einen tyrannischen Vater ertragen. Zum Kunststudium ging’s nach Hamburg, wo die Liaison mit einem Chefredakteur begann. In den 1970ern zog sie mit ihm in eine Villa nach Stuttgart. Dort wollte sich kein Spießerglück einstellen. Wohl fühlte sie sich nachts mit schwulen Künstlern. Nach der Trennung von ihrem Mann verlor Laura den goldenen Käfig. Fortan musste sie Geld verdienen, weshalb sie im KC jobbte. In dessen Betreiber Thomas Bergmeister verliebte sie sich, war für ihn „die erste und letzte Frau“. Bald wurde sie selbst Chefin des roten Kellers.

Stammgäste der ersten Stunde waren Marty Price, Autor des Heimatromans „Gretels Welt“, und sein Lebenspartner Hubert Forner, die seit über 40 Jahren ein Paar sind. Price hatte als Lehrer in den Nellingen Barracks gearbeitet. „Bis Obama war Homosexualität verboten beim Militär“, sagt der US-Amerikaner. Im Vergleich dazu sei Stuttgart „offen und frei“ gewesen.

Drei Bücher zum Stuttgart-Album sind erschienen

1977 fuhr er zum Bahnhof, stieg in ein Taxi und bat den Fahrer, ihn in eine Gay-Bar zu bringen. Es ging in das Lokal Kuhstall in die Altstadt. Dort lernte er den Hertie-Dekorateur Hubert kennen. Monate später bei Martys Geburtstagsfeier waren etliche Armeekollegen da, als Forner ihm liebevoll einen Kanarienvogel im Käfig schenkte. Den GIs war nun klar, dass Marty schwul ist – „und sie freuten sich für mich“. Es war der erste Strahl des Regenbogens, den er spürte.

Diskutieren Sie mit unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.