In diesem Winter lässt der Schnee auf sich warten. Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich an den legendären Februar 1958, als Stuttgart in weißen Massen versank. Die Bundeswehr rückte zum Schneeschippen an.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Es war ein Freitag, als die Menschen in Stuttgart gegen weiße Naturgewalten kämpften. Vor über 60 Jahren hat es in einer einzigen Nacht einen halben Meter Schnee auf die Stadt herabgeworfen. „Wir konnten nicht mal mehr die Haustür öffnen“, schrieb Lothar Escher im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums. Die Schneeberge verschluckten geparkte Autos. Freischippen jedoch lohnte nicht. Denn auf den Straßen ging nichts mehr.

 

Am 7. Februar 1958 versank das Schwabenland im Schnee – bis runter in den Talkessel von Stuttgart. Anderntags lautete die Schlagzeile auf der Titelseite der Stuttgarter Nachrichten: „Schneemassen ersticken den Verkehr Süddeutschlands.“ Im Internetforum unseres Geschichtsprojekts erinnert sich Rainer Müller: „Es herrschte eine fast unheimliche Friedhofsruhe, wie ich sie in Stuttgart nie wieder erlebt habe.“

„Meine Mutter ging zu Fuß von Wangen in den Westen“

So gut wie nichts ging mehr – es sei denn, man schnallte sich Bretter unter die Füße. „Die Gerokstraße oder die Neue Weinsteige dienten als Ski-Abfahrtspisten“, weiß Müller. Auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums hat er auf dem Hintergrund eines Fotos vom legendären Februar 1958 erkannt, wie der Königsbau eingerüstet war. „Die offizielle Eröffnung nach dem Wiederaufbau fand erst eineinhalb Jahre später statt, am 6. Oktober 1959.“ Markus Wenger schreibt: „Inzwischen führen zwei Zentimeter Schnee und minus drei Grad zum totalen Kollaps der S-Bahn und zur Panik bei einigen Autofahrerinnen und Autofahrern.“

Günther Ahner war damals neun Jahre alt. „Ich habe versucht, in die Schule zu gehen – bin dann aber kläglich gescheitert“, lässt er wissen. Den Tag wird Martin Blaicher nie vergessen, wie er schreibt: „Meine Mutter ging zu Fuß von Wangen bis zur Reinsburgstraße zur Arbeit bei der Firma Herget und kam erst um 23 Uhr zurück.“ Brigitte Weber schildert ihre Erlebnisse: „Wir bekamen schulfrei. Alle Daimler-Arbeiter mussten zu Fuß gehen – es fuhren weder Straßenbahnen noch Autos. Für uns war es schön, wir konnten unsere Schlittenbahn bauen.“

Das Dach der Liederhalle drohte einzustürzen

Sebastian Erdle erinnert sich an Bundeswehrsoldaten, die vor dem Hauptbahnhof zum Schneeschippen eingesetzt waren. Wie aus dem Zeitungsarchiv hervorgeht, bekamen „Oberschüler“, wie man damals sagte, schulfrei, während sich die „Volksschüler“ mit Schippen und Schaufeln zu ertüchtigen hatten. Das Dach der Liederhalle, das einzustürzen drohte, musste von der schweren Last befreit werden. Eine Woche später übrigens hat das Wetter sich völlig gedreht: Am 14. Februar 1958 sind auf dem Schlossplatz 18 Grad Frühlingswärme gemessen worden.

Auch zehn Jahre später gab es in Stuttgart so viel Schnee wie sonst nur in Wintersportgebieten. Von Thomas Mack hat das Stuttgart-Album eine beeindruckende Aufnahme von 1968 bekommen, die zwei Polizisten in Weiß mit viel Weiß im Herzen der Stadt zeigt. Es fuhr damals noch die Strampe auf der Königstraße. Und ein kleiner Torbogen vorm Kleinen Schlossplatz erinnerte an das Kronprinzenpalais, das nach heftigem Streit an dieser Stelle dem Verkehr weichen musste.

Von 1965 bis 1995 lief der Lift auf dem Piz Mus

Ski und Rodel gut – so hieß es früher öfter in der Stadt. Beliebt waren die Schlittenhänge unterm Bismarckturm, dem Schloss Solitude und an der Doggenburg. Skifahrer zog es auf die Filder – zum 1965 gebauten Skilift auf dem Piz Mus, auf dem „Hau“ von Musberg. Hier haben viele Großstädter das Skifahren gelernt. Claus Haustein schreibt: „Mein Hausberg, da bin vorwärts, rückwärts und aufm Po runtergefahren. Da war noch alles ehrlich beim Schifahren, heute ist es ja eher eine Modeschau.“ Nach schneearmen Wintern ist der Liftbetrieb 1995 eingestellt worden. Heute erinnern nur noch traurig vor sich hinrostende Masten am Hang an Skifreuden vor den Toren Stuttgarts.

Diskutieren Sie im Internet mit: facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Geschichteserie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.