Um das Prachthotel Marquardt ranken sich viele Geschichten – auch die Zeit danach liefert mit den Innenstadtkinos und der Komödie im Marquardt schöne Anekdoten. Unser Stuttgart-Album erinnert an Premieren, Pannen und Promis.
Stuttgart - Das Einzelzimmer mit Bad hat zwischen neun und zwölf Reichsmark pro Nacht gekostet. Die noblen Gäste buchten oft eine kleine Kammer für ihre Diener und Fahrer dazu, für die sie dreieinhalb Reichsmark bezahlten. Auf der Preisliste des mondänen Hotels Marquardt, die von vor dem Zweiten Weltkrieg stammt, wird das Frühstück für 1,60 Reichsmark angeboten. Wer auf einem der kleinen Balkone über der Königstraße stand, mit der prachtvollen Fassade im Rücken, sah vor lauter Bäumen das Neue Schloss kaum. Der Baumbestand des Schlossplatzes war damals üppig und fast so dicht wie in einem Wald.
Den Namen verdankt das Hotel dem Unternehmer Wilhelm Marquardt. Wenige Schritte vom alten Bahnhof entfernt hat dieser im 19. Jahrhundert eine Herberge gegründet, die rasch zur internationalen Topadresse geworden ist. Der Komponist Richard Wagner (auf der Flucht vor seinen Gläubigern) stieg hier ab, aber auch Otto von Bismarck, Karl May und Graf Ferdinand von Zeppelin. Das ehemalige Hotel, auf dessen Ruine nach den Kriegszerstörungen der Wengertersohn Eugen Mertz ein „Stadtpalais“ auf einer Fläche von 20 000 Quadratmetern für Geschäfte, Kinos sowie für die Komödie im Marquardt errichtet hat, wird zum Ziel des Stuttgarter Kunst-Caching.
Digitale Schnitzeljagd nach dem Vorbild des Geo-Cachings
Die digitale Schnitzeljagd entsteht, vom Bund als Modellprojekt zu „Kultur nach Corona“ gefördert, nach dem Vorbild des Geo-Cachings. „Übers Handy werden Kulturschätze gesucht“, erklärt Pantomime Pablo Zibes. Der Argentinier hat sich den Spazierspaß einfallen lassen. Wer die QR-Codes an Kulturstätten findet, kann Filme abspielen und etwas gewinnen. Von Eric Gauthier bis Topas – Stars der heimischen Kulturszene machen mit.
Damit die Gruppen bei dieser neuartigen Kulturtour historische Infos und „Fun-Facts“ übers Handy abrufen können, haben auch die Innenstadtkinos sowie die Schauspielbühnen – beide sind im früheren Hotel Marquardt seit den 1950ern zu Hause – in ihren Archiven gekramt und schöne Anekdoten ausgegraben.
Für Gina Lollobrigida wurde 1957 der gesamte Marquardt-Bau gesperrt
Die Kinos EM, Cinema und Gloria bilden seit über 70 Jahren das cineastische Herzstück Stuttgarts im Marquardt (seit Ende 2020 ohne die Säle im Metropol). Der Kinoname EM steht für Eugen Mertz, den Gründer. Mit viel Liebe zum Detail ließ er 1952 das EM-Kino bauen. Der Saal gelang prächtig. Kurz vor Eröffnung aber war das Entsetzen groß. Der Architekt hatte vergessen, den Vorführraum zu planen. Dieses Missgeschick konnte behoben werden, so dass man später Premieren feiern konnte.
Die Kinostars reisten damals meist persönlich an – wie etwa 1957 Gina Lollobrigida zum Deutschlandstart von „Der Glöckner von Notre Dame“. Der Ansturm der Fans war so groß, dass der gesamte Marquardt-Bau von der Polizei abgesperrt werden musste. In den 1970ern kam Peter Alexander zur Eröffnung des Gloria, eines weiteren Kinos der Familie Mertz (heute führt Karin Fritz, die Enkelin des Firmengründers, die Geschäfte).
Betriebsleiter im EM war Armin Albert Lerche, der Gründer der legendären Musikhäuser
Anfang der 1950er hieß der EM-Betriebsleiter Armin Albert Lerche. Der Mann liebte Filme – aber auch Schallplatten. Im Marquardt-Bau eröffnete er einen Plattenladen. Lerche hat Stadtgeschichte geschrieben. Denn er war Ende der 1950er Gründer der legendären Lerche-Musikhäuser. In dem Raum, in dem sich sein erstes Plattengeschäft im Marquardt befand, lagern die Innenstadtkinos heute ihre Getränke.
Wenige Meter weiter befindet sich im ehemaligen Festsaal des Hotels die Komödie im Marquardt. Ob Theo Lingen, Johannes Heesters oder Heinz Rühmann – die Filmhelden des deutschen Wirtschaftswunders traten an diesem geschichtsträchtigen Ort auf. 1951 hatte Bertold Sakmann, genannt „Saki“, das Theater eröffnet und damit die Bolzstraße zum Boulevard erhoben. Die Reihen füllte „Saki“ mit Unterhaltungstheater, für das er große Namen nach Stuttgart holte.
Auch Monika Hirschle macht beim Kunst-Caching mit
Später kamen Hans-Joachim Kulenkampff, Hardy Krüger, Harald Juhnke – und viele mehr. Conny Froboess etwa trällerte sich herzallerliebst schnurrig durch das Broadway-Stück „Die Eule und das Kätzchen“. Wer in der Komödie auftrat, dies war Brauch, unterschrieb mit weißer Kreide auf dem schwarzen Schrank, der im Direktionsbüro stand.
Dem heutigen Intendanten Axel Preuß, dessen Vertrag jüngst bis 2029 verlängert worden ist, gelingt es, das Publikum zu verjüngen und mit Stoffen aus dem prallen Leben immer wieder aufs Neue zum Lachen zu bringen. Publikumsliebling ist die „Moni“, wie sie genannt wird, die Monika Hirschle, die in Mundart-Stücken selbst auf der Bühne spielt, aber auch Paraderollen ins Schwäbische übersetzt.
Selbst ernste Themen, die im einstigen,1938 endgültig geschlossenen Hotel Marquardt aufgeführt werden, machen so richtig Spaß. Die „Moni“ gehört zu den Stuttgarter Promis, die fürs virtuelle Vergnügen des Kunst-Cachings lesen.
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