Was mal eine öffentliche Toilette war, ist heute ein beliebter Treff des jungen Stuttgarts. Im Sommer hocken Hunderte auf dem Asphalt vor dem Palast der Republik. Das Stuttgart-Album erinnert an seine spannende Historie und verrät, was es mit dem „braunen Klo“ auf sich hat.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Noch „mindestens 20 Jahre“ will Stefan Schneider die runde Bar weiterführen, die ihren bis heute genialen Namen Palast der Republik dem Happy-end in der deutsch-deutschen Geschichte verdankt. 1989, ein Jahr vor der Wiedervereinigung, haben zwei Wirte an der viel befahrenen Friedrichstraße den Ort, der mal ein Örtchen war, mit ironischem Gespür nach „Erichs Lampenladen“ benannt, wie Honeckers Stolz in Ostberlin beim Volke hieß.

 

Der Palast von Stuttgart ist das genaue Gegenteil vom Protz der SED-Machtzentrale. Er liefert bis heute den Beweis dafür, dass es für den Erfolg einer gastronomischen Einrichtung nicht viel bedarf, wenn man es nur richtig anpackt. Stefan Schneider, der 1992 das etwas andere Lokal übernommen hat, verlangt für den halben Liter Bier 3,60 Euro – damit liegt er deutlich unter dem Schnitt, den man in Stuttgart bezahlt.

1926 als öffentliche Bedürfnisanstalt erbaut

Die denkmalgeschützte Mini-Bar, die 1926 als öffentliche Bedürfnisanstalt erbaut worden ist, gehört der Stadt. In den 1930er Jahren hat die Familie Wittwer den kleinen Raum über den weiterhin zugänglichen Kellertoiletten zum Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften gepachtet. Aus dem Kiosk ist ein Buchladen geworden, als Kriegsbomben das eigentliche Geschäft von Wittwer an der Schlossstraße zerstört hatten. Das Unternehmen baute in den 1960ern ein neues Domizil an der Königstraße, das bis heute das Stammhaus ist und kürzlich von Thalia übernommen wurde. Bis in die 1980er blieb der Wittwer-Kiosk über dem öffentlichen Männer- und Frauenklo. Danach wurde daraus der „Musentempel“, wie die Kneipe dort hieß, die mit mäßigem Erfolg einzog.

Aufwärts ging es mit den Neuen vom Palast der Republik. Die kleine, meist überfüllte Bar bildete mit dem Unbekannten Tier im Metropolgebäude (bis 1996 aktiv) und dem Imbiss Zum Zum an der Bolzstraße (das dortige Gebäude wurde 2004 abgerissen) ein magisches Dreieck der Nacht. Legendäres,, etwa von der einarmigen Currywurstverkäuferin, wird aus der Historie dieses Straßenzugs noch heute mit Wonne erzählt.

Treffpunkt von Homosexuellen

Ein Ort mit wechselvoller Geschichte ist die Ecke Bolzstraße/Lautenschlagerstraße. Gerücht oder Wahrheit? Adolf Hitler, so erzählt man sich, habe bei seinem Stuttgart-Besuch in den 1930ern, als die Häuser der Lautenschlagerstraße mit Nazi-Fahnen vollhingen, plötzlich ein Bedürfnis verspürt. Auf dem Weg zu einer Veranstaltung soll er in den heutigen Palast der Republik gegangen sein, um das Pissoir im Keller aufzusuchen. Für Eingeweihte ist es deshalb das „braune Klo“. Der Legende nach führt ein unterirdischer Gang ins Nachbarhaus.

In dunklen Zeiten, als gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stand, diente die Toilette als „Klappe“ zur Kontaktaufnahme von Schwulen. Auch nach dem Krieg mussten die Männer auf der Hut sein. Immer wieder mischten sich Polizisten in Zivil unter die Suchenden, denen eine Strafanzeige drohte. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Am Palast der Republik, der täglich bis 3 oder 4 Uhr in der Frühe geöffnet hat, zeigt sich auf faszinierende Weise, wie jung, bunt und quicklebendig Stuttgart ist.

Diskutieren Sie mit unter: facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie gibt es drei Bücher. Zuletzt erschienen: „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.