Ob auf der Hasenbergsteige, im Heslacher Wald oder bei der Waldau – der Schlittenspaß in Stuttgart hatte einst etliche Schauplätze. Wir blicken auf den Schneesport vergangener Tage zurück – auch auf den legendären Piz Mus.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Auf der Hasenbergsteige im Stuttgarter Westen sind keine Autos zu sehen. Die Straße gehört allein den Schlitten – denen ohne PS. Die Wintersport-Szene stammt aus dem Jahr 1900. Der 450 Meter hohe Hasenberg zählt zu den höchsten Erhebungen der Stadt. Da konnte man an schneereichen Tagen wunderbar runterflitzen. Kinder wie Erwachsene haben es mit sichtbarem Vergnügen getan, die Frauen selbst mit langen Röcken.

 

Heute ist die Bernhartshöhe mit 549,3 Meter der höchste Punkt Stuttgarts, der jedoch kein natürlicher Berg ist, sondern in den 1970ern mit Material aus dem Tunnelbau aufgeschüttet wurde. Der Birkenkopf liegt 509 Meter über dem Meeresspiegel und ist mit dem Trümmerschutt des Krieges um 40 Meter gewachsen.

Die Brücke im Wald war die „Kommandobrücke“ der Eltern

Im Hintergrund der Schlittenszene von 1900 ist der Hasenbergturm zu sehen, der 1879 vom Verschönerungsverein erbaut worden. Schon bald nach seiner Eröffnung lockte er Zehntausende an. Die vielen Besucherinnen und Besucher hatten Hunger und Durst. Rund um das Ausflugsziel entstanden das Jägerhaus, das Hotel Buchenhof und das Waldhaus.

Beliebt waren Schlittenfahrten vor über 100 Jahren auch unterhalb der Waldau. An den Fernsehturm war noch lange nicht zu denken. Und auch der Wasserturm ist erst 1912 gebaut worden. Anfang des vorigen Jahrhunderts trafen sich im Winter Kinder mit ihren Schlitten auf dem Hohen Bopser, um den steilen Hang zwischen Bäumen runterzusausen. Ihre Eltern nahmen derweil auf einer Holzbrücke Aussichtsplätze ein, um ihre tollkühnen Sprösslinge beim Rasen zu beobachten. „Aus dr Boah!“, hörte man im Wald. Im Weg aber standen die Zuschauer nicht. Denn die Schlittenbahn führte unter dem kleinen Überweg hindurch, unter der Kommandobrücke der Eltern.

Die Ansichtskarte, auf der diese Wintersportszene zu sehen ist, erschien 1906 im P.-Uebele-Verlag. Sie stammt aus der Sammlung von Wolfgang Müller. Heute erinnern Stufen im Wald unter der Waldau an das einstige Rodelvergnügen. Die Brücke, die einst die Schlittenbahn überspannte, gibt es heute nicht mehr. Zwei aufgeschüttete Aufgänge - mit Stufen aus Steinfliesen - erinnern daran, was vor über 100 Jahren hier los war im Winter. Heute führen die Stufen wie verzaubert ins Nichts.

Erinnerungen an das Wintersportgebiet Musberg

Nicht ganz ungefährlich war das Waldau-Rodeln, wie Erika Lanz weiß. Im Facebook-Forum des Geschichtsprojekts Stuttgart-Album schreibt sie: „Immer wieder haben Wurzeln rausgeschaut, wenn man da nicht aufgepasst hat, hat es einen ruck, zuck rausgehauen.“ Und schon war man selbst aus „dr Boah“. Mike Gerhards erinnert sich: „Da um Stuttgart ja die bewaldeten Hänge waren, gab es herrliche Abfahrten für Schlitten. Auch im Süden...im Heslacher Wald... waren einige...auch mit ordentlichen Schanzenhügeln dazwischen. Mutproben waren angesagt und so mancher schöne Schlitten hatte dabei seine letzte Fahrt. Ich glaube, ich hatte auch zweimal das Pech, meinen Eltern zu erklären, dass der Schlitten nun sein Ende im Kamin finden kann. Aber siehe da. Es kam ein neuer Untersatz, halt mir einigen Ermahnungen dazu.“

„Aus dr Boah!“ Dieser Ruf erklang hundertfach an schönen Wintertagen auch in Musberg. Von 1965 bis 1995 lief der legendäre Skilift vom Piz Mus. Diesen Namen verdankt der Hang, der eigentlich Hauberg heißt, dem langjährigen, bis 1966 amtierenden Musberger Bürgermeister Gustav Egler. Dieser hatte bereits 1952 mit dem Gemeinderat unter dem Stichwort „Fremdenverkehr“ die Möglichkeiten von Sprungschanze, Skilift samt Süßwarenstand und einer Skiaufbewahrungsstelle erörtert. Im Februar 1955 war der Schultes nah an seinem Ziel: Vor 600 Zuschauern eröffnete er eine Skisprungschanze oberhalb der Eselsmühle und taufte die Anlage auf den griffigen Namen Piz Mus.

Seit 1995 ruht der Lift auf dem Piz Mus

Als Tagesbester schaffte Lokalmatador Albert Röhrle die Sprungweite von 32 Metern. Beim Bau der Schanze hatte der spätere Chef des gleichnamigen Sportgeschäfts mitgeholfen und dafür Heizungsrohre verwendet. Danach versuchten sich sogar Stars wie Georg Thoma darauf. Wer dabei war, schwärmt noch heute von der „tollen Stimmung“. Manchmal seien bis zu 3000 Zuschauer unten gestanden. Sogar Nachtspringen gab es, mit Strahlern an Telegrafenmasten, die der in Musberg unvergessene Elektriker Karl Jehle montiert hatte.

Musberg hat seinen Ruf als Skihochburg schon früh begründet. 1932 schrieb der „Filder-Bote“: „Welcher Schirgler Stuttgarts und der Filder kennt nicht den prächtigen Schihang bei Musberg, so recht geeignet für Anfänger und Kanonen.“ Die mussten alle noch selbst den Hügel hochsteigen. 1964 stimmte der Gemeinderat dem Bau eines Schlepplifts zu, den die Besitzer der Oberen Mühle ein Jahr später gestartet haben. Seit 1995 ruht der Lift, was an den schneearmen Wintern liegt, aber auch an Familienstreitereien liegt. Die Erben konnten sich nicht einigen, wie es weiter gehen sollte.

Beliebter Schlittenhang beim Bismarckturm

Die vier Masten mit Seilen und Strahlern erinnern noch heute beim Rosten an die legendäre Vergangenheit dieses Hangs.

Es gibt Ski-Fans, die sagen, vor dem Klimawandel sei der Piz Mus „das beste Skigebiet nördlich der Alpen“ gewesen. Kindheitsprägende Erinnerungen an die ersten Schwünge auf Brettern sind so schön, dass man den Hügel ein wenig glorifizieren darf. Der Mythos Piz Mus wirkt bis heute.

Ski und Rodel gut – so hieß es damals oft im Wintersportgebiet Stuttgart. Ein beliebter Schlittenhang war der Hügel unterhalb des Bismarckturms, von dem viele Internetbesucher des Stuttgart-Albums noch heute schwärmen. „Da ist man nach der Schule direkt zum Schlittenfahren gegangen und war erst kurz vor Dunkelheit wieder zu Hause“, schreibt Sandra Radziwill.

Und Klaus-Fritz Egner erinnert sich an die 1960er: „Vom Stuttgart Lehenviertel zu Fuß den Römerweg hoch bis zur neuen Weinsteige, dann Königsträßle hoch bis zum Wasserturm, Schlittschuhe an (Absatzreiser) und dann mit zwei bis drei Holzschlitten die Schlittenbahn hinunter. Vor der Brücke war noch ein ,Huppel’ , welcher für manchen Schlittentotalschaden sorgte. Rückkehr über Altenbergstaffel und Altenbergstrasse in das Lehenviertel. Das waren unsere Kindheitserlebnisse.“

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