Stuttgart im Ausnahmezustand vor 60 Jahren: Queen Elisabeth begeisterte am 24. Mai 1965 die jubelnde Stadt. Ein Staatsbesuch voller Anekdoten, Pannen und Legenden.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

„Die Queen“, erinnert sich Paul Meyer, ein Kommentator unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album, „kam in den 1960ern in der Rangordnung der Deutschen gleich nach dem lieben Gott.“ Auf dem Schlossplatz ist’s um ihn geschehen,. Dort hat ihm die britische Regentin zugewinkt. Natürlich nur ihm ganz persönlich. Die Wahrnehmung von Ralph H. Schübel – er stand als Siebenjähriger am Straßenrand – war eine etwas andere: „Ich fand den 600er-Pullman zehnmal beeindruckender als den ganzen Rest.“

 

Noch heute scheint der Stoff der kuriosen Anekdoten endlos, für den der Staatsbesuch 20 Jahre nach Kriegsende gesorgt hat. Pannen, Tricks und Legenden ranken sich um die Queen-Visite, die nun genau 60 Jahre zurückliegt. Mehr als eine halbe Million Menschen, ist in alten Zeitungen zu lesen, säumen die Straßen, als die damals 39-jährige Königin (sie trägt Gelb, natürlich mit Hut) in einem offenen Mercedes winkend durch die jubelnde Stadt fährt. Zu dieser Zeit reisen die Königs mit dem Zug. Ministerpräsident Hans-Georg Kiesinger holt die royalen Gäste am Hauptbahnhof ab.

Für die beliebte Monarchin wurde angeblich sogar der Rasen angemalt

Die Fans von Königin Elisabeth II. steigen an diesem Montag auf Kiosk-Vordächer, Bäume und Telefonhäuschen – die freien Plätze entlang der Fahrstrecke sind rar. Einfallsreichtum beweisen auch findige Rathausbeamte. Dass man frisch streicht, um einen guten Eindruck zu machen, ist nicht neu. Für die beliebte Monarchin wurde angeblich sogar r Rasen angemalt. Um sich nicht mit dem spärlichen Graswuchs vor dem Fernsehturm zu blamieren, hilft die Stadt mit grüner Sprayfarbe nach. God save the Green!

Auf dem Fernsehturm trägt sich die Regentin ins Goldene Buch der Stadt ein. Darin hat das Protokoll als Datum den 23. Mai notiert. Wohlgemerkt: Die Queen ist erst am 24. Mai gekommen. Wenig später gibt’s die nächste Panne. Als Prinz Philip in einem offenen Mercedes 300 seiner vorausfahrenden Gattin folgen will, springt die Limousine nicht an. So muss der Herzog in einen geschlossenen Ersatzwagenumsteigen. Lästermäuler wollen beobachtet haben, wie er so ausgiebig mit dem elektrischen Fensterheber spielte, bis die Batterieleer war.

Auf dem Fernsehturm trägt sich die Queen ins Goldene Buch der Stadt Stuttgart ein. Rechts: OB Arnulf Klett. Foto: dpa

Der Rasen, das Datum, die Autopanne – und noch eine Anekdote wird bis heute gern erzählt. Wer an den Besuch der hippophilen Königin zurückdenkt, steht vor der klassischen Frage: Where are the horses? Wo sind die Pferde?

Diese Frage – die Zeitungsarchive sind voll damit – soll Queen Elisabeth gestellt haben, als man sie nach Marbach chauffierte. Angeblich hatte sie sich aufs Gestüt Marbach gefreut – doch es sollte das Marbach mit dem Schillermuseum werden.

Ist bei dieser Anekdote was durchgegangen? Also nicht mal ein Pferd, sondern nur die Fantasie eines Berichterstatters? Where is the Wahrheit? Die immer wieder zitierte Pferdefrage ist eine Legende. Eberhard Muff, einst Protokollchef des Stuttgart-Besuchs der Queen, hat den Stuttgarter Nachrichten vor zehn Jahren anvertraut, wie es wirklich war. Das berühmte Zitat ist die Erfindung eines Journalisten. Die Sache mit dem Pferd – eine Zeitungsente war’s!

Die Fahrt der Queen durch Stuttgart glich einem Triumphzug

Das Thema Pferde sei damals heikel gewesen bei den Vorbesprechungen des Staatsbesuchs, erinnerte sich Eberhard Muff. Das Protokoll des Landes wollte dem hohen Gast eine Freude machen und schlug eine Fahrt zu besonderen Pferden vor. Doch dies lehnten die Briten ab. Sonst würden die Zeitungen der Insel bissig schreiben, selbst im Ausland hat die Monarchin immer nur ihre Pferde im Kopf. Daher war jedem – auch der Queen selbst – klar, dass es nicht zum Marbacher Gestüt ging, sondern ins Schillermuseum des anderen Marbachs.

Ministerpräsident Kiesinger holte die Queen 1965 auf dem Bahnhof ab Foto: Leserfoto

„Am Morgen waren Wind und Wolken über Stuttgart“, erinnerte sich Günther Schaile an den Ausnahmezustand in Stuttgart, „aber pünktlich zur Ankunft der Königin zeigte sich die Sonne über Stuttgart.“ Schaile, der bis zu seiner Pensionierung 1999 bei den Stuttgarter Nachrichten als Produktionstechniker arbeitete, hat den Poststempel der Queen mit dem historischen Datum 24. 5. 1965 aufbewahrt sowie etliche Fotos, die er damals gemacht hat. „Es herrschte eine gelöste und friedliche Stimmung“, sagte er. Auch die Rückfahrt vom Fernsehturm zum Neuen Schloss habe einem „Triumphzug“ geglichen. Zumindest einem Rössle hat die Königin, die im September 2022 gestorben ist, im legendären Mai 1965 ihre Ehre erwiesen: dem Stuttgarter Wappentier