Seit dem ersten Volksfest im Jahr 1818 ist vieles anders geworden – eines aber blieb: Die Fruchtsäule erinnert daran, dass der Wasen seinen Ursprung als Erntedankfest hat. Wir blicken auf das Wahrzeichen im Wandel der Jahrzehnte.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Am Siebene an dr Fruchtsäule“. Schon seit Generationen ist klar, wo man sich auf dem Cannstatter Wasen trifft. Im Internet-Forum unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album erinnert sich Gisela Salzer-Bothe: „Jedes Jahr hat man das Wahrzeichen des Festes bestaunt und sich gefreut, wie die Säule jetzt geschmückt ist. Auf jeden Fall war immer Spitzkraut vertreten. Und wenn das Volksfest begann, zu meiner Zeit ist noch an zehn Tagen gefeiert worden, war es die fünfte Jahreszeit für uns.“

 

Zum ersten Volksfest vor nunmehr 201 Jahren hat der württembergischen Hofbaumeister Nikolaus Friedrich von Thouret die Fruchtsäule entworfen., Nach dem „Jahr ohne Sommer“ und einer Hungernot wollten König Wilhelm I. und Königin Katharina das Volk mit einem großen Erntedankfest erfreuen. Das Fest mit Pferderennen beschränkte sich damals auf einen Tag. Es sollen 30 000 Besucherinnen und Besucher gekommen sein – also weit mehr Menschen, als in Stuttgart und Cannstatt damals lebten.

Nach dem Ersten Weltkrieg verschwand die Fruchtsäule

Nach dem Ersten Weltkrieg, mit dem Beginn der ersten deutschen Republik, ist die Fruchtsäule als „monarchistisches“ Überbleibsel vom Wasen verbannt worden. Seit 1935 steht das Wahrzeichen wieder auf seinem angestammten Platz. Wie sich die traditionelle Säule im Laufe der Jahre verändert hat, zeigen die zahlreichen Fotos und Postkarten von unseren Lesern. „Früher war die Fruchtsäule bisschen mager bestückt im Gegensatz zu heute“, schreibt Kommentator Rudi Wiesner auf unserer Facebook-Seite. „Es war schön, noch ganz ohne bayerische Dirndl und Lederhose“, bemerkt Jadwiega Samadi.️ Die Kellnerinnen trugen Dirndl und mussten zehn Krüge gleichzeitig wuchten.

Dass die Schwaben bayerische Traditionen übernehmen würden, mag Festwirt Hans-Peter Grandl nicht hören. „Längst sind Trachten internationalisiert“, sagt er. Und ein Württemberger-Tracht gibt es doch auch aus. Die Tracht sorge für ein Gemeinschaftsgefühl. Noch in den 1980er Jahren seien Leute in ihren ältesten Kleidern gekommen – heute dagegen machten sie sich schön fürs Fest. Dies habe für ein „besseres Niveau“ gesorgt, freut sich der Wirt.

Schon in analogen Zeiten wurde getwittert

In den 1950ern schossen die Herren für ihre Liebsten Blumen und Bärchen, man naschte türkischen Honig, und es gab nur vier Bierzelte. Die Fruchtsäule erhob sich als Abschluss des Volksfestgeländes am oberen Ende dieses platzartig angeordneten Ensembles. In den Zelten spielten Blaskapellen, keine Partybands vom Ballermann. Manch ein Besucher durfte zum Dirigieren auf die Bühne. Nach dem Krieg waren die Volksfesttage von fünf auf zehn Tage verlängert worden. Einst kannte jedes Kind in Stuttgart den zwitschernden Mann in Grün – den Vogeljakob. Mit einem feuchten Plättchen auf der Zunge konnte er unzählige Vogelstimmen nachmachen. Schon in analogen Zeiten ist also getwittert worden.

Diskutieren Sie mit unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album im Sutton-Verlag.