In den 1950ern reisten Hollywoodstars meist mit dem Zug an, um in Stuttgart rauschende Premieren zu feiern. Unser Geschichtsprojekt Stuttgart-Album erinnert an glorreiche Filmzeiten –und an den Untergang der Vorstadtkinos.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Gary Cooper, Kirk Douglas, Errol Flynn – sie alle waren persönlich da, nicht nur auf Zelluloid, als es in Stuttgart bereits vor den Lichtspielhäusern großes Kino gab.

 

Üblich war, dass Hollywood-Stars in den 1950ern mit dem Zug kamen, nicht mit dem Flugzeug. Sie feierten Filmpartys, die auf dem roten Teppich begannen und mitunter ins rote Licht führten. Von Errol Flynn ist überliefert, wie er am frühen Morgen die Bar Balzac beim Rathaus mit Hunger verließ. Weil er den Bahnhof kannte, steuerte er ihn an. In der Bar dort servierte Wirt Jonny dem eleganten Frauenhelden sein „Nachtbrot“, wie wir heute wissen. Der Filmstar bedankte sich: „Jonny, du bist mein Freund.“

Die Palast-Lichtspiele zeigten Stummfilme im früheren Pferdestall

1953 warb Flynn in Stuttgart für seinen Film „Gegen alle Flaggen“. Im altehrwürdigen Metropol-Bau, in den Teile des früheren Bahnhofs integriert sind und in dem sich zuvor der Ufa-Palast befand, schrieb er nach der Vorstellung mit schwungvoller Schrift ins Gästebuch: „Thanks Boss and the best to you and your lovely wife“. Er meinte die Pächter Philipp und Martha Metzler (ihr Schwiegersohn war der legendäre Kicker-Präsident Axel Dünnwald-Metzler). Im August 1949 hatte das Paar das Metropol eröffnet, das zur Heimat der Illusionen nach dem Krieg wurde, zur Starbühne von Stuttgart und Württemberg.

In den Jahrzehnten davor befand sich das führende Lichtspieltheater der Stadt im Marstall-Gebäude an der unteren Königstraße. Über 1200 Plätze verfügte das Kino, das August Daub, ein in vielen Städten tätiger Filmpionier, 1923 eröffnet hat. Im einstigen Pferdestall des Königs lief 1929 etwa der Stummfilm „Die Herrin und der Knecht“.

1953 gab es 36 Kinos in Stuttgart

Rainer Müller schreibt im Facebook-Forum des Stuttgart-Albums: „Vor der Bühne lieferte ein Drei-Mann-Orchester die musikalische Untermalung, wie mir meine Mutter erzählte, die anfangs der 1930er als junges Mädchen in den Palast-Lichtspielen zeitweise als Platzanweiserin arbeitete.“

1803 hatte Friedrich I. den Marstall von der Solitude nahe ans Neue Schloss geholt. Nach Ende der Monarchie wurde der einstige Pferdehof für Geschäfte, ein Kino und ein luxuriöses Hotel umgebaut.

Für die Neugestaltung des Marstall-Geländes nach dem Krieg sind die Palast-Lichtspiele verdrängt worden. Sie zogen um in den „Metropol-Palast“ an der Bolzstraße, um dort – wie schon die 35 Jahre zuvor — die führende Rolle im Filmleben Stuttgarts zu übernehmen. Noch hielt das Fernsehen die Menschen nicht vom Ausgehen ab. 1953 gab es in Stuttgart 36 Lichtspielhäuser, die in diesem Jahr mehr als neun Millionen Kinokarten verkauften. Laut Statistik ging der Stuttgarter oder die Stuttgarterin in diesem Wirtschaftswunderjahr also 16,4 mal im Jahr. Das Metropol an der Bolzstraße diente auch als Varieté. 1958 ist hier der große Stuttgarter Zauberer Kalanag 39-mal hintereinander aufgetreten – meist war seine Vorstellungen ausverkauft.

Emmerich wäre ohne sein Vorstadtkino in Sindelfingen nicht Regisseur geworden

Auch in den Vorstädte gab es etliche Kinos, womit die cineastische Nahversorgung gesichert war. Hier liefen die Filme später als in den Innenstädten – mit nicht mehr ganz so frischen Kopien, die rauschten und deren Farben schon etwas verblichen waren. Dafür waren die Preise günstiger, und man musste nicht mit der Straßenbahn in die Stadt fahren. So wie heutzutage immer mehr Lebensmittelläden in den Außenbezirken verschwinden, so ist in den 1980ern ein Vorstadtkino nach dem anderen gestorben. Das Gloria in Möhringen hat sich 1984 für immer verabschiedet, mit dem Palette-Filmtheater in Feuerbach war’s 1982 vorbei, die Ostend-Lichtspiele gab 1980 nach 69 Jahren auf. Bis heute überlebt haben die Kinothek in Obertürkheim mit einem ambitionierten Programm und das Corso in Vaihingen, das sich auf Originalfassungen spezialisiert hat.

Ohne die Aufklärung von Oswald Kolle hätten die Vorstadtkinos früher aufgeben müssen. Über den Film „Dein Mann – das unbekannte Wesen“ von 1970 ist damals heftig diskutiert worden. „Herr Kolle“, schrieb ein Zuschauer, „wollen Sie die Welt auf den Kopf stellen?“ Von dem Film ging seiner Meinung nach eine gefährliche Botschaft aus: „Jetzt sollen die Frauen oben liegen!“

Vorstadtkinos waren für viele die erste Begegnung mit den Fantasien des Films. Ohne sein Vorstadtkino in Sindelfingen, in dem er etwa „Schatz am Silbersee“ sah, hat Hollywood-Star Roland Emmerich einmal gesagt, wäre er niemals Regisseur geworden.

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