Von Straßburg nach Stuttgart: unser französischer Austauschkollege Xavier Thiery macht sich so seine Gedanken über das Leben am Nesenbach. Ein radelnder Minister etwa hat ihn sehr beeindruckt.

Stuttgart - Deutsch-französischer Redakteurs-Austausch im Rahmen des Gedenken an „La Grande Guerre“, den Ersten Weltkrieg? Warum nicht, habe ich mir gesagt, als man mir diesen Vorschlag gemacht hat. Man hätte das ja auch ein Jahr früher in Zusammenhang mit dem 50-Jahr-Jubiläum des Elysée-Vertrags machen können . . . Kriege sind doch ein eher ungeeigneter Grund zum Feiern.

 

Ich bin genauso so alt wie dieses deutsch-französische Abkommen, das so viel Positives in den grenzüberschreitenden Beziehungen ermöglicht hat. Leider bin ich zu früh geboren, um während meines Studiums in Straßburg ein Semester im Ausland zu verbringen. Also stelle ich mir dieses siebentägige Eintauchen in die Redaktion der StZ als eine Art Mini-Erasmusprogramm für Redakteure vor.

Eine Stadt, die in die Zukunft weist

Mehrere Kollegen haben Stuttgart, eine der vielen Partnerstädte Straßburgs, besichtigt. Um die zwei Hauptbahnhöfe zu verbinden, brauchen die Hochgeschwindigkeitszüge nur noch 80 Minuten. Den Kollegen gilt Stuttgart als ein Auto- und Industriezentrum, eine Messehochburg und eine Kulturhauptstadt. Ohne Zweifel teile ich die Beschreibung, möchte aber diese Liste noch um persönliche Erfahrungen und Erinnerungen ergänzen. Seit den 80er-Jahren habe ich die Großstadt am Neckar vier oder fünf Mal besucht. Sie erscheint mir als eine Stadt, die in die Zukunft weist.

Ich möchte nur vier Beispiele dafür nennen. Wer sich für Baukultur interessiert, findet in der Weißenhofsiedlung am Killesberg, die noch bewohnt ist, einen Meilenstein der Architekturgeschichte. Und bis heute, meiner Meinung nach, ein weltweit unvergleichliches Experiment!

Nachdenklichkeit in der Stauffenberg-Erinnerungsstätte

Die Stauffenberg-Erinnerungsstätte im Alten Schloss regt zum Nachdenken an über Gewissenskonflikte und den Mut zum Widerstand. Claus Graf von Stauffenberg, der seine Kindheit und Gymnasialzeit in Stuttgart verbracht hat, wagte eine Tat, die den Zweiten Weltkrieg hätte abkürzen können, ist aber trotzdem lange in seinem Vaterland umstritten gewesen.

2009 haben Einwohner gegen Stuttgart 21 rebelliert und damit viele Schlagzeilen, in Deutschland sowie im Ausland gemacht. Diese Bürgerbewegung könnte einen Präzedenzfall bilden für die Erneuerung demokratischer Verfahren.

Zu guter Letzt ist Stuttgart seit drei Jahren eine der wenigen, wenn nicht die einzige Landeshauptstadt, in der man fast täglich einen vorbildlichen Verkehrsminister auf dem Fahrrad – Pardon, dem Pedelec – überholen kann. „Chapeau“, wie man in Frankreich sagt.

Zur Person
Xavier Thiery, Wirtschaftsredakteur der „Dernières Nouvelles d’Alsace“ ist eine Woche zu Gast bei der Stuttgarter Zeitung.