Das Prinzip des Vereins „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ in Stuttgart-Birkach ist simpel: Der eine hilft bei diesem, der andere hilft zurück bei jenem. Seit 25 Jahren wird dies bereits praktiziert. 300 Mitglieder machen mit.

Birkach - Christl Schmalz kann sich noch gut an jenen Wintertag im Jahr 2016 erinnern. An diesem Tag musste sie lernen, dass es ohne fremde Hilfe nicht mehr geht. Sie kam nach einem Sturz auf einem vereisten Untergrund ins Krankenhaus. Sie hatte sich das Sprunggelenk gebrochen. Dann kam der Moment in der Klinik, als ihr klar wurde, dass sie frische Wäsche benötigte und Waschutensilien, sie selbst sich darum aber nicht kümmern konnte. „Was mach ich jetzt bloß, habe ich damals gedacht“ erzählt sie.

 

Zwei Jahre später sitzt die 70-Jährige neben der gleichaltrigen Karin Jander im Büro des Birkacher Vereins „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ an der Alten Dorfstraße. Beide haben eine Tasse Kaffee vor sich und erinnern sich an die schwere Zeit, die Christl Schmalz damals erlebt hat.

Schmalz wandte sich an den Verein

Beide sind schon lange Mitglieder des vor 25 Jahren gegründeten Vereins. Für Schmalz erwies sich das damals als Segen. „Ich habe zwar Familie. Aber sie lebt viele Hundert Kilometer entfernt“, sagt sie. Schmalz musste sich dann aber doch nicht lange den Kopf zerbrechen. Sie nahm in der Klinik den Telefonhörer in die Hand und rief im Vereinsbüro an der Alten Dorfstraße an. Sie selbst sei nach der Rente beigetreten, um weiter unter Leute zu kommen. „Ich habe mal Blumen gegossen, bei anderen Vereinsmitgliedern, die im Urlaub waren, solche Sachen“, sagt sie.

Dass sie selbst einmal in eine Lage geraten würde, in der der Verein für sie die Rettung sein würde, hätte sie nie gedacht, meint sie. „Es ist am Anfang schwierig, sich einzugestehen, dass man wirklich Unterstützung braucht und nicht alleine zurechtkommt. Man muss es lernen, Hilfe auch annehmen zu können“, sagt sie.

Karin Jander eilte nach dem Anruf von Schmalz zu deren Haus und organisierte sich einen Schlüssel bei einer Nachbarin. „Ich habe per Telefon mit Christl besprochen, was sie alles braucht und es ihr dann in die Klinik gebracht“, sagt sie.

Eine rasche Genesung wurde möglich

So ausgestattet konnte Schmalz sich für eine sofortige Operation ihres gebrochenen Gelenks entscheiden. Schmalz konnte die Klinik zehn Tage später verlassen. „Wäre Karin nicht gewesen, hätten die Ärzte mich so versorgt, dass ich erst noch einmal nach Hause kann. Der ganze Prozess hätte dann aber viele Wochen gedauert“, sagt Schmalz. Er wäre zudem wahrscheinlich viel schmerzhafter geworden. „Je länger ein gebrochenes Sprunggelenk nicht operiert wird, desto stärker schwillt es an“, sagt sie.

Auch nach der Operation stand Jander an der Seite von Schmalz. „Sie hat mir im Haushalt geholfen oder mich zum Arzt gefahren“, erzählt sie. So sei ihr Genesungsprozess letztlich gut gelungen. Karin Jander und ihr Mann konnten sich dann darüber freuen, dass Schmalz sie nach der wiedergewonnener Mobilität zum Beispiel zum Stuttgarter Flughafen fuhr, eine herzliche Verabschiedung inklusive. „Das ist das Prinzip des Vereins: die gegenseitige Hilfe“, sagt Schmalz.

Karin Jander und Christl Schmalz (v.l.) Foto: Rehman

Welche Leistungen die Helfer für einander erbringen, müssen sie unter sich ausmachen. Ausgeschlossen sind Handwerksleistungen oder Pflege. Möglich sei es aber, zum Beispiel, einen Kuchen zu backen für einen Geburtstagskaffee und im Gegenzug, den Rasen gemäht zu bekommen. Der Fantasie seien wenig Grenzen gesetzt, sagt Jander. Gerade für ältere oder alleinstehende Menschen könne eine Mitgliedschaft in dem Verein segensreich sein, da sie eine längere Autonomie gewährleiste, sagt Jander. Wichtig seien aber auch Jüngere, die zum Beispiel mal auf eine Leiter steigen könnten. „Da gibt es leider zu wenige. Diese Generation ist mit Beruf und Familie oft vollauf beschäftigt“, sagt Jander. Sie ist dennoch zuversichtlich, dass es den circa 300 Mitglieder zählenden Verein noch lange geben wird. „Es gibt viele solcher Initiativen. Aber einige schlafen auch wieder ein. Gerade an der Alten Dorfstraße gibt es aber so etwas wie Kiezgefühl. Die Leute passen aufeinander auf“, sagt sie.

Karin Jander vertraut also auf den guten Zusammenhalt im Ort. So komme es auch vor, dass Mitglieder Leistungen nicht nach dem vom Verein vorgegebenen Punktesystem abrechnen. „Viele helfen sich inzwischen einfach aus Freundschaft, ohne dass sie dafür irgendetwas erwarten“, sagt Karin Jander.