Die Flüchtlinge aus der Zumsteegstraße 2 und 4, aus der Beethoven- und der Fleiner Straße müssen aus rund 50 Wohnungen von verschiedenen Baugenossenschaften wieder ausziehen.

Stuttgart-Botnang/Stuttgart-Rot - Rund 230 Flüchtlinge müssen in den nächsten Tagen ihr gewohntes und lieb gewonnenes Umfeld wieder verlassen. Die Wohnungen an der Zumsteeg- und der Beethovenstraße in Botnang sowie an der Fleiner Straße in Rot sind in den vergangenen Monaten ihr neues Zuhause gewesen. Auch wenn von Beginn an klar war, dass die insgesamt etwa 50 Wohnungen von der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), vom Bau- und Wohnungsverein (BWV) und von der Baugenossenschaft Neues Heim nur vorübergehend genutzt werden können, ist der Frust und die Enttäuschung bei vielen der Flüchtlinge doch sehr groß.

 

„Für die Menschen ist es eine Katastrophe. Sie müssen nun in viel größere Gemeinschaftsunterkünfte ziehen. Dagegen ist es hier paradiesisch“, sagt Sozialarbeiter Jann Steinmetz vom Verein Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW). „Wir hatten deshalb sogar schon Selbstmorddrohungen.“ Gemeinsam mit Kollegin Susanne Weimer-Aue betreut Steinmetz die rund 65 Bewohner an der Zumsteegstraße. „Alle sind in Botnang super integriert. Wir haben hier 32 Kinder, die hier in die Schule oder in die Kita gehen. Leider kann niemand in Botnang bleiben“, bedauert Steinmetz.

Am 5. und 6. September soll der Umzug stattfinden. „Der Großteil der Bewohner wird in den Systembauten an der Breitscheidstraße in Stuttgart-Mitte unterkommen“, sagt Marco-Oliver Luz vom Sozialamt. Leider gebe es derzeit keine Lösung, die näher an Botnang liege.

Die Gebäude an der Zumsteegstraße werden ab November saniert

Mohammed Sabia (Name von der Redaktion geändert) lebt mit seiner Frau, seinen beiden Kindern und seinem Neffen seit rund sieben Monaten an der Zumsteegstraße. „Es gefällt mir sehr gut hier“, sagt der Syrer. Wenn er daran denkt, dass er den Bezirk und die eigene kleine Wohnung in Botnang verlassen muss, wird er sauer und traurig. „Wir haben schon in Systembauten gelebt – zu fünft, auf knapp 28 Quadratmeter“, sagt Sabia. Die Zimmer seien klein, es sei ständig laut. Es gebe Streit. „Ich weiß nicht, wie ich dort für meinen Integrationskurs lernen soll.“ Zudem könne er viele seiner mittlerweile erworbenen Möbel und Gegenstände nicht mitnehmen. „Dort ist kein Platz. Was soll ich machen? Das landet alles auf dem Müll“, ärgert sich Sabia. Am liebsten würde er in Botnang bleiben oder eben in eine eigene Wohnung ziehen. „Ich habe im Internet schon gesucht, aber niemand wollte uns etwas vermieten“, sagt Sabia. Das liege vor allem auch daran, dass er seit Dezember auf seine Aufenthaltsgenehmigung warte. Ohne dieses offizielle Papier bekomme er keinen Pass und keinen Wohnberechtigungsschein. Bei der Ausländerbehörde werde er ständig vertröstet.

Dorothea Koller, die Leiterin des Amtes für öffentliche Ordnung, ist auch für die Ausländerbehörde zuständig. Sie bestätigt, dass das Amt mit der Bearbeitung der Anträge in Rückstand ist. „Etwa 1000 Personen warten noch auf den Aufenthaltstitel“, sagt sie. Im Schnitt müsse man sich sechs Monate gedulden, bis die Genehmigung da ist. Ihre Mitarbeiter würden tun, was sie können. Leider ginge es derzeit nicht schneller.

Allerdings gestaltet sich die Wohnungssuche für Flüchtlinge auch mit Aufenthaltserlaubnis schwierig. „Die Wohnungen in Stuttgart sind knapp“, sagt Steinmetz. Jeden Tag würden zu seiner Kollegin und ihm Bewohner mit Telefonnummern von potenziellen Vermietern kommen. Aber der Erfolg stellt sich nur in ganz seltenen Fällen ein. Mohammed Sabia hätte – wie seine Mitbewohner auch – gerne mehr Zeit, um eine eigene Wohnung zu finden. Aber die bekommen die Flüchtlinge nicht – obwohl die SWSG erst im November mit der umfangreichen Modernisierung ihrer 13 Wohnungen an der Zumsteegstraße beginnt. Marco-Oliver Luz: „Die Bewohner ziehen bereits jetzt in die komplett ausgestatteten Systembauten, da diese ansonsten einige Wochen leerstehen würden. Des Weiteren ist es den Flüchtlingsfamilien so möglich, noch in den Sommerferien umziehen zu können, so dass die Kinder zum Schuljahresbeginn im neuen Stadtbezirk die Schule beziehungsweise die Kita beginnen können.“ Jann Steinmetz geht allerdings davon aus, dass etwa die Hälfte der 32 Kinder in den Botnanger Einrichtungen bleiben möchten und werden.

Anfang 2017 werden die Gebäude an der Fleiner Straße abgerissen

Auch an der Botnanger Beethovenstraße steht ein Umzug an. Am 8. und 9. September geht es für die meisten der rund 130 Flüchtlinge in die Helene-Pfleiderer-Straße nach Degerloch. „Zwei Familien können in den Systembauten an der Furtwänglerstraße untergebracht werden und somit weiterhin in Botnang bleiben“, sagt Luz.

Die Stadt hat die 26 Wohnungen des Bau- und Wohnungsvereins bis Ende Oktober angemietet. Wann der BWV die drei Gebäude abreißen wird, steht noch nicht fest. Zwei „Alt-Mieter“ hatten gegen ihre Kündigung geklagt und vor dem Amtsgericht Recht bekommen. Der BWV hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt (wir berichteten).

Und auch die Baugenossenschaft Neues Heim hat an der Fleiner Straße in Rot zwölf zur Sanierung anstehende Wohnungen interimsweise an rund 30 Flüchtlinge vergeben. An diesem Mittwoch wird der Großteil von ihnen in die Systembauten an der Breitscheidstraße ziehen. „Zwei Familien konnten in der Unterkunft an der Gottfried-Keller-Straße untergebracht werden, so dass sie weiterhin im Stadtbezirk wohnen können“, sagt Luz. Die Baugenossenschaft zieht ein positives Fazit. „Die neuen Bewohner haben sich gut in die Hausgemeinschaft integriert. Es kam mit den vielen Kindern mal wieder richtig Leben ins Haus“, sagt Martin Gebler von der Baugenossenschaft Neues Heim. „Zum Jahresende werden die letzten unserer Mieter ausgezogen sein. Anfang 2017 wird das Gebäude dann abgebrochen.“