Es war eines der schlimmsten Verbrechen in Stuttgart. Am 16. März 1994 starben sieben Menschen bei einem Brandanschlag in der Innenstadt. War das Motiv ein rassistisches? Darum ist ein Streit entbrannt.

Als die Feuerwehr kam, brannte das Haus an der Geißstraße 7 lichterloh. Für sieben Menschen kam jede Hilfe zu spät. Eine 24-jährige Frau und ihre vier Jahre alte Tochter, eine 27 Jahre alte Frau und ihr ungeborenes Kind, eine 55 Jahre alte Frau, zwei 60 und 56 Jahre alte Männer starben in der Nacht zum 16. März 1994. 16 Menschen wurden verletzt. Der Täter Andreas H. sitzt bis heute in Sicherungsverwahrung. Was war das Motiv? Rassismus spielte bei der Tat keine Rolle, glaubte das Gericht. Das ist bis heute umstritten. Damit hat sich der Rechtsanwalt und Stiftungsratsvorsitzende Roland Kugler im Namen der Stiftung Geißstraße 7 beschäftigt. Seine Analyse liegt nun vor.

 

Die Tat

Andreas H. verbrachte die Nacht auf den 16. März in der Stuttgarter Altstadt. Gegen 3 Uhr morgens kam er an dem Haus in der Geißstraße vorbei. Die Tür zum Treppenhaus stand offen. Mit einem Feuerzeug steckte er eine Kiste an. Dann fuhr er mit der S-Bahn nach Esslingen. Bei einer Begehung mit der Polizei ein Jahr später gestand er die Tat, beschrieb die Situation. Später wiederrief er. Um auf der Wache erneut zu gestehen. Von beiden Geständnissen gibt es Videos. Vor Gericht wiederrief er erneut: „Tote sind nicht meine Sache. Es ging mir immer nur um das Feuer.“ Das Gericht hielt das Geständnis aber für glaubhaft. Andreas H. hatte Details erzählt, die nur der Täter wissen konnte.

Der Konflikt

Heute erinnert eine Plakette an die Opfer dieser Nacht. Darauf steht: „Dieses Haus wurde am 16. März 1994 durch einen Brandanschlag zerstört. Sieben Menschen starben in den Flammen.“ Wiederholt haben das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus und Amnesty International den Vorwurf erhoben, man wolle in Stuttgart „den rassistischen Hintergrund nicht wahrhaben“. Dass das rassistische Tatmotiv nicht auf der Gedenktafel genannt werde, sei eine Verschleierung der Tatsachen. „Wenn dieser Vorwurf stimmen würde, wäre das fatal“, sagt Roland Kugler. „Haben wir da etwas nicht gesehen?“, habe man sich gefragt. Und: „Wie gehen wir damit um?“

Die Recherche

Vom Angeklagten Andreas H. gibt es mehrere Versionen des Geschehens. Er gestand zweimal, wiederrief dann jeweils wieder. Bis heute ist er in Sicherungsverwahrung, deshalb liegen die Akten bei der Staatsanwaltschaft. Dort fragte Kugler an. „Ich wollte ran an die Quelle.“ Er bekam wegen des Persönlichkeitsschutzes von Andreas H. aber nur das Urteil samt Begründung. Sozusagen „das eingedampfte Verfahren“. Und wälzte die Zeitungsartikel. Um herauszufinden, ob die Ermittler und das Gericht etwas übersehen, oder – so auch ein Vorwurf – willentlich nur in eine Richtung ermittelt hätten. Also Anzeichen für Rassismus nicht sehen wollten.

Das Haus

In der Diskussion damals spielte vor allem eine Rolle, dass in dem Gebäude arme Menschen lebten, zumeist Ausländer und Flüchtlinge. Das Haus gehörte der Brauerei Hofbräu, im Erdgeschoss war das Lokal Marco Polo. Der Wirt hatte das Haus gepachtet, die acht Wohnungen aber unterverpachtet. 27 Menschen waren dort gemeldet. Pächter und Unterverpächter wurden wegen Mietwuchers verurteilt. So mussten die Mieter für ein Zimmer 500 Mark zahlen, nach dem Mietspiegel hätte es 151 Mark kosten dürfen. Die Bewohner vermieteten ihrerseits wieder unter, um sich die Miete leisten zu können. Ebenso unübersichtlich waren die Zustände der Renovierung. Hofbräu hatte einen Subunternehmervertrag mit dem Unterverpächter abgeschlossen, der Bekannte engagierte, die ohne Baugenehmigung renovierten. So stapelten sich im Eingangsbereich Kartons, Kisten, Tapeten, Farben – die später lichterloh brannten. Hofbräu blieb von der Justiz unbelangt, brachte das Gebäude als Schenkung in die Stiftung ein.

Der Täter

Andreas H. wurde am 30. Juni 1995 in Esslingen gefasst. Er hatte in den beiden Jahren zuvor an sieben Orten in Esslingen Gebäude angesteckt. Immer mit einem Feuerzeug. Immer ohne Brandbeschleuniger. Bei der Vernehmung stellte sich heraus, dass er seine erste Brandstiftung mit 15 begangen hatte. Seitdem zündete er Gebäude an oder Telefonzellen. Auch ein Zimmer im St.Michaelis-Heim, in dem er als Obdachloser untergekommen war, steckte er an. Ertappt wurde er nie. Er sagte, er habe „ein befriedigendes Gefühl“, wenn das Feuer auflodere. Der Gutachter sagte vor Gericht, Andreas H. sei instabil, verfüge über mangelnde Impulskontrolle und verminderte Kontrollfähigkeit. Die Aufregung vor dem Feuer, so der Gutachter, sei mit Sex vergleichbar. Insofern habe Andreas H. die Vorstellung befriedigt, dass andere Angst vor ihm hätten.

Der Werdegang

Andreas H. wurde 1970 geboren. Seine Eltern trennten sich, als er zehn Jahre alt war. Er lebte wechselnd bei Mutter und Vater. Mehrere Ausbildungen brach er ab. Mit 17 begann er auf der Straße zu leben. Er verdiente sein Geld mit betteln und als Stricher. In Stuttgart ließ er sich von homosexuellen Männern aushalten. 1992 ging er eine Scheinehe mit einer Kosovarin ein, bekam dafür 3000 Mark. Er trank, blieb aber von 1993 an trocken. Das sei das einzige was er geschafft habe in seinem Leben, sagte er.

Der Hass auf Ausländer

Im Juli 1994, also nach der Tat an der Geißstraße, wurde er von drei Türken beraubt. Die Täter wurden gefasst und verurteilt. Für H. fiel das Urteil zu mild aus, er wollte sich deshalb „an den Ausländern rächen“. Er suchte im Telefonbuch nach den Namen der Täter. Fand einen ähnlich klingenden. Und legte unter der Adresse Feuer. In der Vernehmung sagt er, „die Ausländer haben auch nichts gefühlt, als sie mich überfallen hatten“. Er wolle sie aus Hass in Angst und Schrecken versetzen. So wie sie es mit ihm gemacht hätten. In den Briefkasten des Esslinger Rathauses warf er 1995 einen Zettel mit der Aufschrift „Kanaken raus“, darauf ein Hakenkreuz, allerdings falsch herum gezeichnet.

Das Urteil

Das Gericht verurteilte Andreas H. wegen siebenfachen Mordes zu einer Haftstrafe von 15 Jahren. Er sei vermindert schuldfähig gewesen, deshalb erfolgte keine lebenslange Haftstrafe. Wegen seiner fortgesetzten Gefährlichkeit ordnete das Gericht Sicherungsverwahrung an. Es sei zu befürchten, dass er erneut Brandstiftungen begehen würde.

Das Ergebnis der Recherche Nach der Sichtung des Urteils ist Kugler überzeugt, dass es kein rassistisches Motiv gibt: „Wir können nicht sagen, er war kein Rassist, aber es gibt keinen Hinweis, dass die Tat auf rassistischen Motiven beruht.“ Andreas H. habe sich vor Gericht nicht zu der Tat bekannt, es fehle eine Botschaft, es sind auch keine Kontakte zu rechtsextremistischen oder rassistischen Organisationen bekannt. Die spätere Tat in Esslingen habe sich gezielt gegen einen Mann gewandt, der ihn, so glaubte er, beraubt habe. Und nicht ziellos gegen Ausländer.

Die Folgen

Kugler ist sich klar, dass er durch seine Doppelrolle, Stiftungsratsvorsitzender und Aufklärer „in einer Verteidigungshaltung“ ist. Die Antonio-Amadeu-Stiftung hat er überzeugt, sie stuft die Tat nicht als rassistisch ein. Zwei Vertreter von Amnesty International glauben weiterhin, das Verdikt von Alt-OB Manfred Rommel „Gott sei Dank gibt es keine Anzeichen für einen rassistischer Anschlag“ habe als Arbeitsanweisung für die Ermittler gedient. Doch bei allen Diskussionen ist und bleibt Fakt, der Brandanschlag ist eines der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte Stuttgarts. Was auch immer Andreas H. dazu getrieben hat.

Die Stiftung Geißstraße

Gründung
 Die Stiftung Geißstraße gründete sich nach dem Brandanschlag. Sie baute das Haus wieder auf und nahm darin Menschen aus aller Welt auf.

Auftrag
Generell arbeitet die Stiftung am Erinnern, hat etwa den Anstoß gegeben für die Gedenkstätte für die deportierten Juden am Nordbahnhof. Mit Diskussionen, Veranstaltungen und Ausstellungen wollen die Mitglieder Verständnis und Miteinander von Menschen aller Schichten und Herkunft schaffen. fr