Fred-Jürgen Stradinger gibt den Vorsitz der Stuttgarter Ratsfraktion ab – und empfiehlt sinen Rivalen Alexander Kotz als Nachfolger.

Stuttgart - Der CDU-Fraktionschef im Rathaus, Fred-Jürgen Stradinger, stellt sein Amt zur Verfügung. Unter der Überschrift "Auftrag erfüllt" verkündete der 53-Jährige am Dienstag Abend überraschend seinen Rückzug. Der Christdemokrat, der erst vor 16 Monaten nach der Schlappe der CDU bei der Kommunalwahl als Nachfolger von Iris Ripsam die Fraktionsführung übernommen hatte, nannte berufliche Gründe für seinen Schritt: "Ich bin vor kurzem zum Leiter der Ministerstabsstelle im Landwirtschaftsministerium befördert worden. Diese neue Aufgabe erfordert eine Menge Zeit und lässt sich mit der Arbeit des CDU-Fraktionsvorsitzenden nicht vereinbaren." Als Nachfolger will Stradinger in der CDU-Fraktionssitzung am Donnerstag seinen bisherigen Stellvertreter Alexander Kotz vorschlagen. Stradinger kandidiert seinerseits als Vize-Fraktionschef.

In seiner Presseerklärung gab es viel Lob von Stradinger - für Stradinger: Es sei ihm gelungen, in seiner 16-monatigen Amtszeit die "Fundamente für eine erfolgreiche Arbeit der Fraktion" zu legen. Aus der unter Ripsam noch in zwei Lager gespaltenen Fraktion sei eine schlagkräftige Truppe entstanden, die internen Gräben seien überwunden. Inhaltlich habe die CDU Schwerpunkte gesetzt und zudem wichtige "anstehende Entscheidungen vorbereitet".

Stradinger galt als Kompromisskandidat


In der Tat wird Stradinger von Fraktionsmitgliedern bescheinigt, wieder etwas mehr Ruhe in die Fraktion gebracht zu haben. Doch von Anfang an galt der Sportkreisvorsitzende als Kompromisskandidat, oder, wie es ein Parteifreund nach der Wahl formulierte, als "kleinster gemeinsamer Nenner". Nach der verlorenen Kommunalwahl vom Juni 2009, bei der die CDU ihre Stellung als stärkste Fraktion im Rathaus an die Grünen abtreten musste, hatte zunächst alles nach einem parteiinternen Machtkampf zwischen Stradingers Vorgängerin Ripsam und seinem designierten Nachfolger Kotz ausgesehen. Die Lager von Ripsam, die bei der Wahl CDU-Stimmenkönigin war, aber parteiintern gleichwohl für die Wahlschlappe verantwortlich gemacht wurde, und Kotz, dem schon immer das Streben nach höheren Ämtern nachgesagt wurde, standen sich gleichauf gegenüber. Schließlich erklärte sich Ripsam zum Verzicht bereit - unter der Voraussetzung, dass auch Kotz nicht kandidiere. Am Ende der Personaldebatte schlug dann die Stunde des bis dato als unscheinbarer Hinterbänkler geltenden Stradinger.

Der Mann, zu dessen Lieblingsvokabular "Sowohl als auch" zählt und der sich selbst gern als ausgleichender, kompromissbereiter Zuhörer inszeniert, geriet freilich bald in ein schweres Fahrwasser. Bei den Haushaltsberatungen Ende vergangenen Jahres etwa stimmte die CDU gemeinsam mit FDP und Freien Wählern gegen den Etat - eine demonstrative Kampfansage an die neue ökosoziale Mehrheit im Gemeinderat. Schon damals hieß es, die zum Kotz-Lager gehörenden Stadträte hätten sich gegenüber den moderaten Kräften in der Fraktion, die in Sachthemen durchaus zu Kompromissen vor allem mit den Grünen bereit gewesen wären, durchgesetzt.

Im Juli 2010 folgte dann mit der Wahl von Isabel Fezer (FDP) zur neuen Sozialbürgermeisterin die nächste Stufe fraktionsinternen Streits: Obwohl es bei den Christdemokraten durchaus Sympathien für den Gegenkandidaten, den Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle, gegeben hatte, empfahl Stradinger in der durch das Thema Stuttgart 21 ohnehin aufgeheizten Situation der Fraktion die Wahl Fezers. Die Liberale wurde schließlich mit Hilfe eines "Überläufers" aus den Reihen der ökolinken Mehrheit bereits im ersten Wahlgang zur neuen Beigeordneten gekürt.

Vorwurf: Profillosigkeit und mangelnde Führungsstärke


Er sei "zu schwach" gewesen, um sich auch unter taktischen Gesichtspunkten - Wölfles Wahl hätte die Grünen ihres starken Mannes an der Spitze beraubt - gegen die Hardliner in der CDU-Fraktion durchzusetzen, kommentierten seinerzeit Parteifreunde hinter vorgehaltener Hand. Die offizielle Parteilinie lautet freilich: die Wahl Fezers, noch mehr aber die Verhinderung des Sozialexperten Wölfle, dem viele aus der CDU-Fraktion seine Rolle als Wortführer des Protests gegen Stuttgart 21 übel nahmen, sei aus CDU-Sicht ein großer politischer Erfolg. So sah das auch Stradinger, doch bereits kurz nach der Bürgermeisterwahl probte die Fraktion den Aufstand gegen ihren Chef. Als Hauptakteure des Putschversuchs glaubte der Fraktionschef damals sowohl seine Vorgängerin Ripsam als auch seinen Nachfolger in spe Kotz ausgemacht zu haben, die ihm Profillosigkeit und mangelnde Führungsstärke attestiert hatten. Nur durch eine Indiskretion aus den Reihen der CDU ließen sich die Parteirebellen von Rücktrittsforderungen gegenüber Stradinger abschrecken.

Sein designierter Nachfolger Alexander Kotz gilt dagegen als einer, der "klare Kante" zeigt. Der Kreishandwerksmeister, bisher als Fraktionsvize nicht eben durch programmatische Visionen aufgefallen, wird, so prophezeien manche Christdemokraten, die Frontstellung gegenüber der ökosozialen Mehrheit ausbauen. Auch beim Thema Nummer Eins, dem umstrittenen Bau des neuen Tiefbahnhofs, vertritt Kotz eine knallharte politische Linie gegenüber den Gegnern des Bahnprojekts: Als Augenzeuge der Auseinandersetzungen im Schlossgarten, bei der am vergangenen Donnerstag mehr als 100 Menschen unter anderem durch den Einsatz von Wasserwerfern verletzt worden waren, gab Kotz anschließend zu Protokoll, er habe gar keine Wasserwerfer gesehen.