Stuttgart-Degerloch Familie droht die Zwangsräumung

Eine vierfache, alleinerziehende Mutter aus Stuttgart-Degerloch setzt alle Hebel in Bewegung, um nach einer Kündigung nicht ohne Wohnung dazustehen. Voraussichtlich muss die Familie heute in ein Sozialhotel ziehen.
Degerloch - Die Uhr tickt für Stephanie Schädel und ihre vier Söhne. Die 39-jährige alleinerziehende Mutter rechnet jeden Tag damit, dass die Behörden ihre Wohnung in der Degerlocher Schrempfstraße räumen. Nachdem ihr Vermieter ihr vor einem Jahr gekündigt hatte, hätte sie eigentlich bis zum Sonntag, 31. März, ausgezogen sein müssen. Doch wohin, fragt sie sich. Die Mutter weiß nicht mehr weiter. Denn bezahlbarer Wohnraum ist in Stuttgart bekanntermaßen Mangelware – und eine neue Bleibe nicht in Sicht.
Derzeit zahlt Schädel 950 Euro warm für 105 Quadratmeter. Eingezogen ist die Familie vor fünf Jahren. Eine Wohnung vergleichbarer Größe jedoch würde heute deutlich mehr kosten. Und die Wartelisten für eine der 14 400 städtischen Sozialwohnungen sind lang: Laut Angaben der Stadt standen im Jahr 2017 4300 Haushalte mit 10 000 Personen in der Vormerkdatei.
Zweimal Miete zu spät überwiesen
Stephanie Schädel hat Angst, denn nun droht der Umzug in ein Sozialhotel. Aber wie konnte es so weit kommen? Angesichts der dramatischen Situation klingt der von ihr dargelegte Anlass der Kündigung durch den Vermieter fast läppisch. Mehrmals habe sie die Miete zu spät überwiesen, gesteht Schädel. Die Unterhaltszahlungen des Vaters seien zu spät eingegangen, deshalb habe sie wiederum die Miete nicht rechtzeitig zahlen können. Dabei habe es sich jedoch immer nur um einige Tage gehandelt, ein Mietschaden sei nicht entstanden. Trotzdem kündigte die Erbengemeinschaft, die das Haus besitzt, der Mutter. Stephanie Schädel stimmte daraufhin einem bei Gericht geschlossenen Vergleich zu, indem sie versicherte, die Wohnung innerhalb von neun Monaten zu verlassen. Aus heutiger Sicht ein Fehler. „Ich dachte damals, dass mir die Stadt dann mit einer neuen Wohnung helfen kann, aber dem ist leider nicht so“, sagt sie.
Online-Petition mit mehr als 55 000 Unterschriften
Mit den Vermietern bestehe weiterhin kein Kontakt. Vor allem für die Kinder wäre der Umzug in ein Sozialhotel eine Katastrophe, so die Bürokauffrau, die ihren Vollzeitjob als Bürokauffrau krankheitsbedingt aufgeben musste und derzeit in Elternzeit ist. Der große Sohn sei 20 und lerne gerade aufs Abi. „In einem Fünf-Bett-Zimmer zu lernen, ist alles andere als ideal“, so Schädel, das Leben in einer solchen Unterkunft sei ein untragbarer Zustand. Ganz zu schweigen davon, dass die Kinder aus ihrem sozialen Umfeld gerissen würden. „Die Kinder haben Angst. Wir sind damals vom Land hergezogen, weil ich einen Vollzeitjob bekommen habe. Degerloch ist ja wie ein kleines Dorf, sie können sich hier frei bewegen“, sagt die Mutter. Der 16-jährige Sohn mache nächstes Jahr seinen Abschluss und gehöre in Möhringen einer Basketballmannschaft an, der Neunjährige gehe in die dritte Klasse einer Degerlocher Grundschule.
Jetzt bleibt der Familie nur die Hoffnung darauf, dass sich doch noch irgendein Türchen auftut. Weil sie das nicht dem Schicksal überlassen will, sucht Schädel seit einigen Wochen verstärkt die Öffentlichkeit. So hat die 39-Jährige eine Online-Petition ins Leben gerufen, die mittlerweile mehr als 55 000 Menschen unterzeichnet haben. Ziel sei es, Druck aufzubauen: auf den Vermieter, den Hausverwalter und die Stadt. „Ich habe viele Zuschriften erhalten von Leuten, die in der gleichen Situation sind“, schildert sie.
Die Stadt kann nicht helfen
Auch im Degerlocher Bezirksbeirat wurde sie vorstellig. Wo sich gewöhnlich Menschen zu Wort melden, um über schlechte Straßenbeläge oder unzureichende Busverbindungen zu klagen, stand nun eine Mutter vor den Politikern, für die es um die Existenz geht. Während sie ihre Situation schilderte, watschelte ihr kleiner Sohn fröhlich im Raum herum, nicht ahnend, wie schlimm die Lage ist.
Für die Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold ist der Fall nicht neu. Wie die anderen Räte auch, drückte sie ihr Mitgefühl für die Lage der Familie aus, verwies aber gleichzeitig darauf, dass ihr die Hände gebunden seien. Sie habe die vielen Mails von Frau Schädel an die zuständigen Stellen weitergeleitet, allen voran ans Sozialamt, beteuerte Kunath-Scheffold.
Die Bezirksvorsteherin bot an, vermittelnde Gespräch zwischen den Parteien zu moderieren, sollten sie zustande kommen. Doch auch ein bereits stattgefundenes Treffen mit Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Martin Schairer sei ernüchternd verlaufen, sagt Stephanie Schädel; erst in ein paar Jahren könne er ihr eine Wohnung in Aussicht stellen. „Die Stadt sagt zwar, dass sie baut. Aber das hilft mir im Moment überhaupt nicht.“
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