Das Haus des Waldes in Stuttgart-Degerloch hat neuerdings Waldbaden im Angebot. Die Nachfrage nach dem japanischen Trend „Shinrin Yoku“ ist groß, der erste Termin war sofort ausgebucht. Was versprechen sich die Teilnehmer davon?
Degerloch/S-Ost - Zwischen den sattgrünen Bäumen im Waldgebiet Falsche Klinge bei Stuttgart-Ost bewegen sich am Sonntagnachmittag Gestalten in bunten Jacken. Sie haben die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und gehen einen schmalen Weg entlang. Alle tragen Regenjacken, wasserdichte Hosen, Gummistiefel oder imprägnierte Wanderschuhe. Aus gutem Grund. Vom Himmel fallen unablässig dicke Tropfen auf ihre Kapuzen und zerplatzen dort. Eine Viertelstunde geht das schon so. Ein Ende dieses Gusses ist nicht in Sicht. Ein Drittel der zwölf Leute wird nicht bis zum Ende mitgehen. Weil sie durchgenässt sind.
Was die Gruppe in den Wald führt, lässt sich in zwei Worte fassen: Shinrin Yoku. Das ist japanisch und heißt Waldbaden. Mit Wasser hat das aber nichts zu tun, sondern mit Achtsamkeitsübungen in der Atmosphäre des Forstes. Dass es wie aus Kübeln regnet, hat für die Teilnehmer aber auch Vorteile, wie sie später erfahren werden.
Den Wald anders erleben
Die 54-jährige Patricia Heß führt die Gruppe an. Die Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache hat eine Ausbildung zum Waldbaden gemacht und bietet diese etwa zweieinhalbstündige Wanderung für das Haus des Waldes in Degerloch an. „Ihr könnt mich auch Waldbademeisterin nennen“, sagt sie scherzhaft. Nach ein paar Metern stoppt Heß auf einem breiten Weg und erklärt den Teilnehmern, was sie erwartet: „Es geht darum, den Wald anders zu erleben.“ Sie kennt Vorurteile gegen diese Art, die Natur zu erleben. Nämlich, dass Waldbadende nackt durch den Wald gehen oder Bäume umarmen. „All das kann man machen, muss man aber nicht.“
Um es vorweg zu nehmen: Niemand der Gruppe lässt an diesem Sonntagnachmittag die Hüllen fallen. „Wir gehen mit den Bäumen als Lebewesen eine Beziehung ein.“ Die Ziele sind, dass die Teilnehmer den Wald mit allen Sinnen wahrnehmen und dabei zur Ruhe kommen. Sie tasten, sehen, riechen und schmecken. Hinzu können Yoga-, Gymnastik- und Qi Gong-Übungen kommen. „Wichtig ist es, dass ihr offen, neugierig und gerne in der Natur seid.“ Doch eines ist an diesem regnerischen Tag anders: „Eigentlich bewegen wir uns beim Waldbaden mit der Geschwindigkeit einer Schnecke. Aber weil es so stark regnet, gehen wir etwas schneller.“
Für den nächsten Pfad gibt Heß den elf Frauen und dem einen Mann eine Aufgabe: „Fasst die Pflanzen und Bäume an und sammelt etwas.“ Am Ende haben sie welke und frische Blätter und Zapfen ertastet.
„Es ist eine persönliche Anleitung, im Wald auf sich und auf Details zu achten“, erklärt Barbara Betz, Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit vom Haus des Waldes. Es ist das erste Mal, dass sie das im Programm haben. Mit Erfolg. „Der Rundgang war sofort ausgebucht.“ Das sei bei neuen Angeboten ungewöhnlich, passe aber zum Zeitgeist. „Ich habe den Eindruck, dass der Wald wieder mehr Interesse erzeugt in dieser hektischen Zeit“, sagt Betz. Mehr Menschen bräuchten eine Auszeit im Wald, und die helfe. „Studien haben ergeben, dass Waldbaden einen medizinischen Nutzen hat: Der Blutdruck sinkt, und die Immunabwehr wird angeregt.“
Das neue Angebot passt zum Zeitgeist
Die Teilnehmer stehen auf einem Weg am Hang und betrachten Laub in der Ferne. „Lasst euren Blick schweifen“, sagt Heß. „Schaut weit weg, nach links, nach rechts und nun nach oben.“ Diese Übung sei gut, weil sich die Augen entspannen und nicht nur auf den Computerbildschirm schauen. Es schließt sich eine Qi-Gong-Übung an. Die Teilnehmer reiben die Hände aneinander und halten sie über die Augen. „Das tut gut“, sagt Heß.
In einer TV-Doku vom Waldbaden gehört
Sie selbst hat über eine TV-Doku vom Waldbaden und während einer Wanderung von der Ausbildung erfahren. „Ich sage statt Waldbaden auch achtsames Spazieren, weil Waldbaden so inflationär benutzt wird.“ Sie hält sich lange unter Bäumen auf und sitzt dort auch mal. „Das macht mir Spaß.“
Die Gruppe steht an einem Hang. Manche haben die Augen geschlossen, andere bringen Moos, Blätter und Zapfen, die die Mitbader mit verbundenen Augen erriechen und erfühlen. Eine von ihnen ist Claudia Preker: „Ich fand es bereichernd, mich den kleinen Dingen zu widmen. Jetzt bin ich gelassen und entspannt.“ Der Regen habe sie nicht so gestört, ebenso wie die Kälte.
Heß erklärt, dass der Regen etwas Heilsames hat. Durch die feuchte Luft reinigten sich die Härchen in der Nase und die Bronchien. „Es ist gut, wenn ihr tief einatmet.“ Auch die Natur profitiert von der Nässe. „Durch den Regen ist das viele Grün entstanden.“